Sommer und goldbraune Beine auf Balkonien
Mein Glas sei immer halb voll, nie halb leer, kriege ich zuweilen vorgeworfen. Was der Vorwurf soll, ist mir nicht klar, denn ich habe Recht, das ist beweisbar. Nehmen Sie Ihr halbvolles Glas und leeren Sie den Inhalt in ein grösseres. Egal, wie gross dieses ist, es wird nie leer sein. Nehmen Sie hingegen ein kleineres Glas, dann ist es irgendwann voll. Von halbvoll kann voll werden, von halb leer aber nie leer, q.e.d. (© A. Strahm).
Nehmen wir diesen Sommer. Alles jammert, meckert, klagt. Rennt aufs Reisebüro, bucht "last minute", steht stundenlang vor Schaltern, Check-Ins, Check-Outs, nur um sich irgendwo kurz den Schädel zu verbraten. Und ich sitze friedlich auf meiner (gedeckten) Terrasse im Neubad. Ich meine, schon nur der Quartier-Name "Neubad" lädt doch voll zum Faulenzen ein.
Ich mache also Ferien auf Balkonien und mag diesen Sommer. Nobody ist perfect, warum also der Sommer (Yann Sommer mal ausgenommen)? Ferien heisst dolce far niente. Zum Beispiel den Garten nicht spritzen. Was problemlos gelingt derzeit, denn alles Gute kommt von oben. Wäre das nicht so, müsste ich die Nachbarin fragen, ob sie mir giesst, denn ich habe ja Ferien, und das gäbe dann schwer dicke Luft, würde ich Zuhause im Liegestuhl liegen und sie müsste mit dem Gartenschlauch um mich herum turnen.
Oder diese Kolumne hier. Sie wollen von mir politische Statements zu Aktualitäten aller Art? Fehlanzeige, ich habe jetzt Ferien. Natürlich lese ich die Zeitungen, die zufolge mangelnder Umleitung pünktlich in aller Frühe durch den Türschlitz fallen. Ich weiss also, was los ist, aber muss mir nichts dazu denken. Ich rätsle über Minu's Sommersprossen in der BaZ, und schäkere ein bisschen elektronisch mit ihm, wenn ich etwas nicht weiss (nein, er verrät leider GAR NICHTS), und fertig.
"So ein wenig goldig statt käsig
sollten die Beine schon sein."
Vergessen wir den letzten Winter nicht. Haben Sie jemals Schnee wegschaufeln müssen? Ich nicht. Und wenn ich etwas hasse, dann diesen braun-grauen Matsch wegschippen zu müssen, Stadt und Schnee verträgt sich nun mal schlecht. Meinen Oleander konnte ich draussen lassen, dieses schwere Ding. Und die sommerliche Reinigung meiner Daunenjacke kann ich mir auch sparen. Der Frühling war angenehm warm, für einen Gfrörli wie mich ein Segen. Und kalt ist es jetzt wirklich nicht, es regnet nur ab und zu ein bisschen. Man bedenke, was wir an Energie gespart haben, den letzten Winter weniger geheizt und jetzt im Sommer schweigen die Klimaanlagen. Petrus muss ein Grüner sein.
Und der Schlaf, an Schlaf ist tatsächlich zu denken. Kein Duvet klebt, keine Mücken wehklagen penetrant um die Ohren, und keine Nachbarn feiern Scheiaweia bis in die Puppen, nachdem sie einen mit Rauch vollgrilliert haben. Entspannt und ausgeschlafen begrüssen wir im Neubad den ersten Flieger um 06:07 mit dem im Yoga (Seminar gegen Fluglärmangst) erlernten "Tibeter", ganz ohne Verdruss darüber, dass wir erst seit zwei Stunden eine Mütze Schlaf abbekommen haben.
Sonnenbadestress – kein Thema. Der weibliche Teil der Menschheit, und zunehmend auch der männliche, möchte einen ansatzweise gebräunten Teint, was ungesund ist, einen aber zwingt, bei Sonne in dieselbe zu liegen. Wir müssen zwar nicht mehr so dunkelbraun daher kommen wie in den Siebzigern, aber so ein wenig goldig statt käsig sollten die Beine schon sein.
Und genau dies gelingt in diesem Sommer. Mit Selbstbräuner. Achten Sie dann einfach darauf, dass niemand Ihre gelben Handflächen sieht, weil Sie vergessen haben, das Zeug von den Händen zu waschen. Denn Handschuhe sind sogar in diesem Sommer eher auffällig – dunkle wecken den Verdacht auf einen kriminellen Hintergrund und mit weissen meinen alle, Sie seien von der "Tattoo"-Gilde. Es war übrigens ausgesprochen erfrischend, in diesem weissen Coop-Plastikmantel im Regen in der Kaserne. Und die "Tattoo"-ter schwitzten kein bisschen in ihren militärischen Wolluniformen.
Und nun sitzen Sie selbstvergessen wieder im Büro, träumen von schönen Stränden oder Berggipfeln, und zählen die Tage bis zur nächsten Auszeit. Meine Ferien sind heute auch vorbei, aber ich kann schon mittags wieder an mein Feriendomizil. Falls es jetzt immer noch nicht heiss wird: wozu auch, wir müssen eh arbeiten. Und falls doch, gehen wir abends an den Rhein. Sie wissen es ja jetzt: das Glas ist immer halbvoll.
18. August 2014
"Köstlich amüsiert"
Sie, liebe Frau Strahm, haben den diesjährigen Sommer mit vielen anderen Daheimgebliebenen auf Balkonien, voll und ganz genossen. Ich habe mich köstlich über Ihre Wortspiele und Gedanken amüsiert. Ein wirklich erfrischender Wind wehte mir dabei um die Ohren. Wie recht Sie doch haben, denn Sie leben nach dem Motto "denke positiv" und freue Dich über das Schöne, welches Dir im Leben geschenkt wird.
Yvonne Rueff-Bloch, Basel