Werbung
Was säkulare mit religiöser Barbarei vereintIn den Jahren nach 1750 wollte die Philosophie der Aufklärung erreichen, dass die Menschen ihre selbstverschuldete Unmündigkeit beenden und sich ihres eigenen Verstands "ohne Leitung eines anderen" bedienen, wie es der deutsche Philosoph Immanuel Kant ausdrückte. In Frankreich ging der Marquis de Condorcet von der Idee der Perfektibilität (Vervollkommnungsfähigkeit) aus: Der Mensch ist mit seiner Vernunft in der Lage, sich zum Besseren zu entwickeln. Condorcet hatte im Sinn, eine historische Darstellung des Fortschritts des menschlichen Geistes zu schreiben, brachte es aber nur zu einem "Entwurf", der als solcher das beabsichtigte inspirierende Werk bereits enthält.
Aufklärung und Vernunft stehen heute nicht hoch im Kurs. Die Begriffe lösen bei vielen Menschen Wutanfälle aus, auch deshalb, weil sie zu eurozentrisch konzipiert sind. Aber in einer polyzentrisch zersplitterten Welt darf und soll die Aufklärung als eine von vielen Ideen im geistigen Wettstreit ihren Platz behaupten.
Wir leiden nicht an einem Überfluss an Aufklärung, sondern an einem bedenklichen Mangel. Aber in der veränderten Welt von heute gelten neue Werte: Optimierung, Durchsetzungsvermögen, Erfolg, klare, das heisst autoritäre Entscheidungen.
"Ein friedliches, sozial gesichertes Leben
Was treibt diese Menschen dazu an? Die Dschihadisten wehren sich gegen die verachteten westlichen Werte, aber auch gegen den Konfessionalismus und die Korruption in den islamischen Feudaldiktaturen vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, wie der libanesische Autor Elias Khoury gezeigt hat (auf dem Blog en.qantara.de).
Der Defizitkatalog des Westens ist umfassend, und die viel gepriesenen westlichen Werte, auf die sich die politischen Anführer berufen, sind nicht viel wert. Schall und Rauch. Die Infektion des täglichen Lebens durch die Finanzindustrie hat das Ausmass eines Naturgesetzes angenommen, so wie sich die Geschäftswelt zu einem Fall von natürlicher Selektion ("survival of the fittest") entwickelt hat, also zu einem Sozialdarwinismus übelster Sorte. Und das private Kapitalvermögen, das schneller als die reale Wirtschaft wächst, hat Verhältnisse eingerichtet, die nur schwer reparierbar sind. Eine sinnvolle gesellschaftliche Perspektive oder geordnete, vertretbare Verhältnisse lassen sich damit nicht vermitteln.
Die säkulare Barbarei steht der religiösen in nichts nach. In Mexiko sterben in den Drogenkriegen jährlich bis 10'000 Menschen. Sie werden manchmal geköpft, verstümmelt, an Brückengeländern aufgehängt, um Angst und Schrecken zu verbreiten, nicht anders, als es der sogenannte Islamische Staat macht. Von der Mehrheit der Christen unterscheiden sich Muslime, die ihrer Religion nachgehen und im übrigen in Ruhe gelassen werden wollen, nicht gross. Aber seitdem der Dschihad-Tourismus wie eine Seuche expandiert, ist es nicht mehr erlaubt, sich Illusionen über Zustimmung zum Radikal-Islam und dessen Verbreitung zu machen.
Dass alle Religionen generell einen kriegerischen Kern aufweisen, darf nicht übersehen werden. Wer vom rechten Glauben überzeugt ist, meint, sich nicht irren zu können. Das ist der grösste aller Irrtümer. Weil alle Religionen menschliche Erfindungen sind, wie Condorcet schon früh bemerkte, ist jede Berufung auf sie für die Gestaltung des politischen Lebens problematisch. Wenn Religionen Privatsache bleiben, haben sie ihre Berechtigung.
Sein ganzes Vertrauen setzte Condorcet in die Vernunft des Menschen und in die Verteidigung des Rechts auf ein eigenes kritisches Urteil. Wer unabhängig denkt, kommt nicht auf die Idee, anderen Menschen Schaden zuzufügen. Das ist Aufklärung. Condorcet ist nicht überholt. Aber was die radikalisierte Welt von heute davon hält, ist eine andere Frage. 3. November 2014
|
www.onlinereports.ch
© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.
Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigenen Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.