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"Böses geahnt": Fahrbelege der Transport-Verteuerung
Behinderte zahlen den Preis des Wettbewerbs
Nach der Tarifreform werden die Transporte teils um mehr als das Dreifache teurer
Von Michael Baumgärtner
Die Kantone Baselland und Basel-Stadt haben beim Behinderten-Transport auf Anfang Jahr den Wettbewerb eingeführt – auf dem Buckel der Behinderten: Die Kosten für längere Fahrten steigen teils massiv. Jetzt regt sich Widerstand bei den Betroffenen.
Bis Ende 2011 hatte die Firma "BTB Behinderten-Transport GmbH" ein Monopol auf die Durchführung von Behindertentransporten in der Region Basel. Das Angebot wird von den beiden Basler Kantonen mit 2,6 Millionen Franken subventioniert, Verwalterin der Fördergelder ist die "Koordinationsstelle Fahrten für Behinderte beider Basel" (KBB), der je drei Vertreter aus Stadt und Land angehören.
Das Tarifsystem in der Monopolsituation sah eine für die Kunden sehr günstige Zonenregelung vor. Kurzstrecken kosteten pauschal sechs Franken. Für längere Strecken, beispielsweise nach Rheinfelden, mussten die Fahrgäste elf Franken bezahlen. Die Subventionsgelder deckten die restlichen Kosten.
Wettbewerb bringt breiteres Angebot
Die Nachteile des Monopols stiessen bei Nutzern und Behinderten-Organisationen aber vermehrt auf Kritik. Sie bemängelten insbesondere das ungenügende Angebot: Die BTB war ständig voll ausgelastet, spontane Fahrten waren für die Behinderten kaum möglich, weil nicht genügend Autos zur Verfügung standen. Zum Teil mussten sie eine Fahrt bis zu einer Woche im Voraus anmelden.
Deshalb entschlossen sich die Behörden beider Basel zu einem System-Wechsel: Aus der Monopol- wurde eine Wettbewerbssituation mit mehreren Anbietern. Vor allem Spontanfahrten werden damit ermöglicht. Die Abteilung Behindertenangebote des Amts für Kind, Jugend und Behindertenangebote im Baselbiet spricht in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber OnlineReports von "Verbesserungen im Bereich der Qualität und der angebotenen Leistungen", die "allen Nutzerinnen und Nutzern zugute" kämen.
Nicht alle profitieren
Das erlebt Karl Hürlimann (88, Bild) aber ganz anders. Der rollstuhlgängige Pensionär aus Basel staunte nicht schlecht, als er am 6. Januar für eine Fahrt nach Rheinfelden den Transportservice in Anspruch nahm: 40 Franken verrechnete ihm der Fahrer für die Fahrt zum Kurzentrum, fast viermal so viel, als er noch wenige Tage zuvor – am 30. Dezember – nach dem bisherigen Tarifmodus bezahlt hatte (siehe Bild oben). Zähneknirschend beglich er die Rechnung.
Was war passiert? Die Tarifreform mit mehreren Anbietern machte es nach Meinung der Entscheidungsgremien notwendig, die Zonenaufteilung abzuschaffen. Neu werden die Behinderten "anteilsmässig an den Fahrtkosten beteiligt", wie die Abteilung Behindertenangebote gegenüber OnlineReports ausführte. Bei genauem Hinsehen profitieren nach diesem Schlüssel also nur jene Fahrgäste, die kurze Strecken zurücklegen. Bei längeren Fahrten wie jener nach Rheinfelden müssen die Kunden jedoch massiv draufzahlen.
Für Marcel W. Buess, Präsident der Behindertenselbsthilfe beider Basel (IVB) und seit Januar selbst Transport-Anbieter, steht fest: "Wettbewerb führt für die Benutzer zur Verteuerung." Ob die neue Regelung also wirklich allen Nutzerinnen und Nutzern zugute kommt, wie die staatlichen Akteure behaupten, darf bezweifelt werden.
Kaum ein Einzelfall
Diese Verteuerung betrifft allerdings nicht alle Behinderten, die den Transportservice nutzen. Sogenannte Arzt- oder Therapiefahrten können im Gegensatz zu Freizeitfahrten ohne Selbstbehalt über die Ergänzungsleistungen abgerechnet werden. Rentner Hürlimann hat auf diese Leistungen aber keinen Anspruch, weil er lange Zeit berufstätig gewesen war und heute noch Steuern und Krankenkasse zahlt. Es ist nicht davon auszugehen, dass es sich dabei um einen Ausnahmefall handelt: "Wenn die Behinderten diese Preiserhöhung nun langsam wahrnehmen", so Marcel Buess gegenüber OnlineReports, "kann ich mir schon vorstellen, dass die KBB mit kritischen Briefen rechnen muss".
Denn für Hürlimann, der sich die verteuerten Fahrten nicht leisten kann, bedeutet der Tarifwechsel einen "massive Beeinträchtigung meiner Mobilität". Hinzu kommt neu eine Kontingentierung der subventionierten Freizeitfahrten auf zehn Strecken pro Monat (Hin- und Rückfahrt gelten als zwei Strecken). Auch wenn Hürlimann genügend Geld aufbringen könnte, um die neuen Tarife zu zahlen, könnte er im Monat trotzdem nur fünf Mal eine solche längere Fahrt unternehmen.
Mangelhafte Informationspolitik
Die Behinderten wurden zwar im Vorfeld mittels einer Tariftabelle über die Kostenänderungen in Kenntnis gesetzt, allerdings war die Informationspolitik insgesamt etwas undurchsichtig. Hürlimann meinte im Gespräch mit OnlineReports, er hätte zwar "Böses geahnt", aber dass es "derart unerträglich" werde, hätte er nicht gedacht.
Laut der Abteilung Behindertenangebote, die auch mit OnlineReports etwas umständlich kommunizierte, sei die Frage zu klären, "ob die festgesetzte Subvention bei Fahrten mit längerer Distanz die Fahrgäste zu stark belastet und ob diesbezüglich eine Anhebung der Subvention begründet ist". Vorerst werde versucht, mit den festgesetzten Fördergeldern auszukommen, deshalb auch die Kontingentierung der Freizeitfahrten. Franziska Gengenbach, die Präsidentin der KBB, beteuert, dass die Subventionen vollumfänglich in das Transport-Angebot fliessen, es handle sich nicht um eine Sparübung der Kantone.
Gewisse Steuerungsabsicht
Kunden wie Karl Hürlimann rät Gengenbach – und daraus wird eine gewisse Steuerungsabsicht erkennbar –, für längere Strecken auch die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, "die nach und nach behindertengerecht ausgebaut werden". Ebenso biete das neue System die Möglichkeit des Preisvergleichs zwischen den verschiedenen Transportangeboten.
Letztlich wird sich Hürlimann aber auf gewisse Einschränkungen einstellen müssen: "Wir können ihm nicht sofort entgegenkommen", so Gengenbach. Sie verspricht aber, dass den Einzelfällen nachgegangen und geprüft werde, ob grössere Gruppen davon betroffen seien. Karl Hürlimann hingegen sieht nur eine Lösung: "Es gibt nichts Anderes als eine Rückkehr zur Zonenregelung."
16. Januar 2012
Weiterführende Links:
"Behinderte werden behindert"
Da gibt es doch einen Artikel, über die Gleichstellung Behinderten und Nichtbehinderten. Also ist sicher die Frage erlaubt, wieso Behinderte, die den ÖV nicht nutzen können, auf einmal so viel mehr bezahlen wie die, denen dies möglich ist. Die Spitze des Zustands ist, dass im Monat nur noch fünf Hin- und Rückfahrten möglich sein sollen.
Da wurde leider etwas geboren, das so behindernd ist, dass es die Behinderten noch behindert.
Rolf Mösch, Rollstuhlfahrer, Reinach
"Hier bleiben die Preise gleich"
Die Verteuerung trifft nicht für den BFT (Behinderten Fern Transport) zu. Da bleiben die Preise gleich wie immer. Freiwillige Fahrer sorgen dafür, dass die Preise stabil bleiben.
Abbas Schumacher, Basel
"Diese Art Markt funktioniert nie"
Es ist immer das Gleiche: Es gibt den freien Markt und es gibt die staatlich organisierten Aufträge. Was aber nie funktioniert, ist der sogenannte "staatlich organisierte freie Markt". Das ist so im Gesundheitswesen, und jetzt eben auch beim subventionierten Behindertentransport, weitere Beispiele gibt es genug und werden wohl auch weiterhin auf uns zukommen.
André Weissen, Riehen