© Foto by OnlineReports.ch
"Nicht in den schlimmsten Träumen": Langzeit-Nationalrat Gysin
Zwingt Gysin-Kandidatur den FDP-Parteirat in die Knie?
Der Wirtschaftskammer-Direktor will sich keiner geheimen Nomination stellen, sondern den Baselbieter Nationalrats-Sitz retten
Von Peter Knechtli
Hochspannung innerhalb der FDP Baselland nach dem Absturz in den Landratswahlen: Der Parteirat soll auf seinen Beschluss zurückkommen, die Nomination von Nationalrat Hans Rudolf Gysin in geheimer Wahl durchzuführen. Sonst wäre der freisinnige Sitz in Gefahr.
Er ist Direktor der Wirtschaftskammer Baselland, 70-jährig und seit 24 Jahren Mitglied des Nationalrats: Hans Rudolf Gysin fühlt sich körperlich und geistig so fit, dass er kommenden Herbst nochmals zu den Wahlen in die Grosse Kammer antreten will. Nicht alle in seiner Partei sehen das so: Es sei Zeit, dass er der jüngeren Generation Platz mache.
Diese Haltung kam in einem Reglement zum Ausdruck, das der Parteirat – das Strategie-Gremium der FDP – im Januar verabschiedete. Die Stossrichtung: Alle zur Nomination Antretenden müssen sich bewerben und sich einer geheimen Wahl stellen – auch der langjährige Amtsinhaber Gysin. Damit sollte allen potenziellen Interessenten "Chancengleichheit" eingeräumt werden. Dies im Gegensatz zum Modus, der vor vier Jahren galt: Die Parteileitung legte sieben Namen fest und der Parteitag segnete sie ab, was nicht überall gut ankam.
"Wenn mich die Partei inständig bittet"
Doch Gysin verbreitete rasch Signale, dass er den neuen Modus der Chancengleichheit durch geheime Wahl nicht akzeptiere: Er habe, so Gysin zu OnlineReports, der Partei zu verstehen gegeben, "dass ich nochmals Lokomotive mache, wenn mich die Partei inständig darum bittet". Die Partei habe viel für ihn getan. Jetzt fühle der sich "verantwortlich, der Partei in einer schwierigen Lage zu helfen" – Voraussetzung, die Parteileitung stelle eine "starke Liste" zusammen und gebe für ihn eine Empfehlung ab.
Zum einen dürfte der begabteste Strippenzieher des Landkantons die neue Reglementsbestimmung, die er "nicht einmal zur Kenntnis genommen" habe, als Schmach empfunden haben ("erwartet nicht, dass ich eine Bewerbung einreiche"); zum andern dürfte er mit ins Kalkül gezogen haben, dass die geheime Wahl die Gefahr einer für ihn unschmeichelhaften Überraschung in sich bergen könnte.
FDP-Regierungsräte nahmen Einfluss
Nach Informationen von OnlineReports sollen sich unter anderem die beiden FDP-Regierungsräte Adrian Ballmer und Sabine Pegoraro, die Gysin einen Teil ihrer politischen Karriere und Wahlerfolge verdanken, bei der Parteileitung gegen die Anwendung des Nominations-Reglements stark gemacht haben. Gysin selbst – so gehen die möglicherweise bewusst bestreuten Gerüchte – habe damit gedroht, im Falle einer Nicht-Nominierung auf einer separaten "Gewerbe-Liste" zu kandidieren, was Gysin energisch dementiert ("Ich will keinen Mais mit der Partei, die ist gestraft genug").
Doch der Druck zeigte Wirkung. Gestern Sonntagabend verschickte die Parteileitung ein E-Mail an die über 30 Parteiräte, in der im Hinblick auf die Parteirats-Sitzung von übermorgen Mittwoch eine Traktanden-Ergänzung angekündigt wird: Der Parteirat soll das Nominations-Reglement nochmals debattieren. Nicht deklariertes, aber verfolgtes Ziel: Gysin soll schon vor dem Nominations-Parteitag vom 10. Mai als nochmaliger Kandidat gesetzt sein und vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden.
Eine ganze Nachwuchs-Generation fehlt
FDP-Vizepräsidentin Christine Pezzetta ("ich will das nicht in der Öffentlichkeit austragen") bestätigte gegenüber OnlineReports nur, dass der Wahl-Modus nochmals diskutiert wird. Aus der Optik der FDP-Interessen ist dies auch der einzig richtige Weg: An Gysin kommt die FDP auch in seinem achten Lebens-Jahrzehnt nicht vorbei, wenn sie ihren einzigen Nationalratssitz kommenden Herbst über die Runde retten will. Denn nach ihm klafft die Nachwuchs-Lücke einer ganzen Generation.
Ambitionierte Nachfolger im etwas reiferen Alter sind in der FDP nicht in Sicht, breiter ist die Personaldecke unter den noch zu wenig bekannten Freisinnigen meist um die vierzig oder darunter wie der neugewählte Arlesheimer Landrat Balz Stückelberger, der auf die Nationalratsliste drängt, sich aber zum Reglementsstreit nicht weiter äussern will, oder Partei-Arbeiterin und Vizepräsidentin Christine Pezzetta, die eine Kandidatur nicht ausschliessen mag, Wirtschaftskammer-Vizedirektor Christoph Buser, Landrat Rolf Richterich, die Aescher Gemeindepräsidentin und Landrätin Marianne Holinger oder Stephanie Eymann Schneider, die mit einem Landrats-Wahlergebnis auffiel. Landrats-Fraktionspräsident Daniele Ceccarelli fällt ausser Betracht: Er wurde abgewählt.
Wahldebakel begünstigt Gysins Nomination
So dramatisch es tönt: Das FDP-Debakel bei den Landratswahlen, in denen die Freisinnigen gleich 6 von 20 Sitzen verloren, stärkte Gysins Position. Wahlkampfleiterin Christine Pezzetta zu OnlineReports zum Wahlausgang: "Es ist etwas eingetreten, womit wir nicht in den schlimmsten Träumen rechneten." Doch mit der historischen Schlappe wächst die Bereitschaft unter den Freisinnigen, die Wahlkampf-Lokomotive Gysin nochmals auf die Reise zu schicken. Denn ohne ihn – soviel steht schon nahezu fest – verlöre die FDP, die einst zwei Vertreter nach Bern delegierte, auch noch ihren einzigen verbliebenen Sitz.
Mit seiner erneuerten Kandidatur, so malten sich Parteiexponenten schon aus, könnte Gysin seinen Vizedirektor Christoph Buser auf der Nationalratsliste auf Platz zwei bewerben und ihn im Verlauf der Legislatur nachrücken lassen. Doch dieses Szenario wird nicht aufgehen. Denn, so Buser zu OnlineReports: "Ich werde nicht kandidieren. In vier Jahren ist das sehr wahrscheinlich ein Thema."
Somit könnten sich für andere jüngere FDP-Nachrücker Türen öffnen, sofern Langzeit-Parlamentarier Gysin nicht die ganze Legislatur absolvieren will. Ein freisinniger Exponent zu OnlineReports: "Der Parteirat wird am Mittwoch vermutlich kippen".
18. April 2011
Weiterführende Links:
"Zukunfts-Gestaltung braucht etwas Mut"
Sollte sich der Parteirat anders entscheiden, zeigt das ein weiteres Mal, dass die FDP.Die Liberalen keine Standfestigkeit hat, und deshalb den Abschwung fortsetzen wird. Es gehört etwas Mut dazu, die Zukunft neu zu gestalten.
Paul R. Hofer, Mitglied der FDP.Die Liberalen, Oberwil