Kinderheim-Krise: Zeit ist reif für neues System
Von PETER KNECHTLI
Seit Wochen dokumentiert OnlineReports ein seit Jahren schwelendes Malaise im Kinderheim "Auf Berg" in Seltisberg: Heimleiter-Wechsel am Laufmeter, frustierte Mitarbeitende, Polizeieinsätze, ein tragischer Suizid, 70 Baselbieter Sozial-Profis, die heftige Kritik an der Trägerschaft üben - und eine sture Trägerschaft, für die alles zum Besten bestellt ist.
Nachdem die zuständige Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion eine hinreichende Information der Öffentlichkeit bisher für unnötig hielt, lud sie heute Freitagmorgen zur Medienkonferenz ein. Die Art der Information weckte über grosse Strecken Unbehagen: Den Medienschaffenden wurde eine mickrige juristische Grundsatz-Unterlage über Aufsicht, Bundesgesetzgebung und Leistungsvereinbarung vorgelegt, die in keinem Satz auf den konkreten Konfliktfall Bezug nimmt.
Es folgten dann epische diplomatische Erklärungen von Bildungsdirekor Urs Wüthrich und seinem Fachstellenleiter René Broder, die über weite Strecken den Charakter von Rechtfertigungen hatten. Es wurde schon rein sprachlich der Graben deutlich, der sich zwischen den alltäglichen Problemen der Heim-Angestellten "Auf Berg" und der staatlichen Adminsitration auftut. So sprach Broder im Bürokratie-Chinesisch vom "Regel-Umfeld", von "Struktur- und Prozessvorgaben", von "definierten Qualitätsanforderungen" und von "formalen Instrumenten", dass einem das nackte Grausen packte. Erst allmählich liess er - eher en passant - aus dem Sack, was Medien und Öffentlichkeit wirklich interessierte und mit Spannung erwartete.
Diese defensive Information - erst noch aus der Bildungsdirektion und von einem Fachstellenleiter, der früher im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig war - ist vollkommen unverständlich. Denn ausser dem, was OnlineReports schon kritisierte - dass die staatliche Auffsicht trotz der Zahlung von jährlich über drei Millionen Franken die Zügel zu lange schleifen liess, was Broder auch einräumte - hat sich die Direktion Wüthrich nichts vorzuwerfen. Sie hat nun offensichtlich die Zügel in die Hand genommen und endlich die situationsgerechte Menge Dampf aufgesetzt: Die Leistungsvereinbarung mit der Trägerschaft wurde Anfang Jahr auf nur neun Monate befristet verlängert, ebenso wurde eine längerfristige Beitragsgarantie von einer grundlegenden Restrukturierung abhängig gemacht. Künftig soll nicht mehr die Vereinsleitung, sondern ein fachlich qualifizierter Heimausschuss die strategische Richtung bestimmen und Partner des neu zu wählenden Heimleiters sein.
Auch wenn sich - verständlicherweise - weder Urs Wüthrich noch René Broder zu personellen Fragen äussern wollten, so steuern die kantonalen Vorgaben klar in eine bestimmte Richtung: Im neuen Heimausschuss dürfte die langjährige Vereinspräsidentin Huberta Heinzl nicht mehr die bestimmende Rolle spielen, sofern sie ihm überhaupt noch angehören wird. Sie ist die Repräsentantin eines Systems, das sich in einem sehr sensiblen Bereich wie der Kinderbetreuung als untauglich erwiesen hat. Die Zahl der Heimleiterwechsel und verschiedener betrüblicher Vorfälle in ihrer Amtszeit war zu gross. Der Vereinsvorstand sollte jetzt in weiser Art die Zeichen der Zeit erkennen.
Dennoch kommt dem Trägerschaftsverein auch in Zukunft eine wichtige Rolle zu: Er wird den neuen Heimausschuss zu wählen haben. Dieser Entscheid setzt nicht nur Grösse voraus, sondern allem voran grosse Verantwortung. Denn er wird massgeblich die Chance bestimmen, im Kinderheim "Auf Berg" nachhaltige Ruhe, Betreuungsqualität und ein unbelastetes Arbeitsklima einkehren zu lassen.
Bericht: Wüthrich setzt jetzt Druck auf
4. April 2008