Analyse: Die SVP drängt die Freisinnigen immer weiter zurück
Im Kanton Solothurn fand bei den Regierungswahlen eine Zeitenwende statt. Der Trend könnte sich schweizweit durchsetzen.
Er sei schon froh, habe Karin Keller-Sutter mit Donald Trump telefoniert und nicht der Co-Chef der SP, Cédric Wermuth, erklärte jüngst Thierry Burkart. Damit erweckte der Präsident der FDP Schweiz und Aargauer Ständerat ein bisschen den Eindruck, der Anruf seiner Bundesrätin nach Washington habe dazu beigetragen, dass der amerikanische Präsident die masslosen Zölle 90 Tage später als geplant einführen möchte. Schweizer Produkte sollen in den USA mit einem Strafzoll von 31 Prozent belegt werden.
Man lasse dem FDP-Chef seinen Glauben, da das Gegenteil auch nicht zu beweisen ist. Zu hoffen ist allerdings, dass Thierry Burkart neben seiner Bewunderung für die freisinnige Bundesrätin und der Häme für den SP-Mann, der Trump gerne in die Nähe des Faschismus rückt, auch mitbekommen hat, was am vergangenen Palmsonntag im Kanton Solothurn geschehen ist. Seine Partei hat eine Zeitenwende erlebt.
Nur noch ein Regierungssitz
Dort fand nämlich der zweite Wahlgang zu den Regierungsratswahlen statt – mit bemerkenswertem Ausgang. Die FDP ist seither im einst so liberalen Kanton Solothurn nur noch mit einem Sitz in der Regierung vertreten. Die SP dagegen erringt zwei Sitze, und neu nimmt die SVP mit Sibylle Jeker aus Büsserach im Schwarzbubenland in der Solothurner Exekutive Platz. Erstmals Mal in der Geschichte und im achten Anlauf.
Doch eigentlich hat die Zeitenwende in der Solothurner Politik schon am 9. März bei den Kantonsratswahlen und dem ersten Wahlgang in die Regierung eingesetzt. Zum ersten Mal ist die FDP nicht mehr stärkste Partei im Kanton. Diesen einst scheinbar in alle Ewigkeit den Freisinnigen vorbehaltenen Spitzenplatz musste sie an die SVP abgeben.
Diese war vor 1997 – mit einer kaum nennenswerten Ausnahme in den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts – im Solothurner Kantonsparlament noch gar nicht vertreten. Sie wuchs jedoch seither kontinuierlich, während die FDP schrumpfte. Dass der Thiersteiner SVP-Nationalrat Christian Imark nun auch versucht, mit seiner durchaus chancenreichen Gemeinderatskandidatur in der Gemeinde Fehren das traditionelle FDP-Mitte-Kartell zu sprengen und seine Partei auch auf kommunaler Ebene zu etablieren, ist eine symptomatische Nebenerscheinung.
Eine der stärksten Bastionen
Auf noch 20 von 100 Sitzen kam die FDP im März und belegte damit hinter der SVP (25) und der SP (21) noch den dritten Platz. Sie fällt damit just hinter jene beiden Parteien zurück, die mit Franziska Roth (SP) im Ständerat und Christian Imark (SVP) im Nationalrat per Motion den Anstoss gegeben haben, das Stahlwerk im solothurnischen Gerlafingen zu retten. FDP-Chef Thierry Burkart hatte dieses als «ordnungspolitischen Sündenfall» bezeichnet. Und selbst mit der im Solothurner Kantonsrat neu geschlossenen Fraktionsgemeinschaft mit der GLP vermag die FDP die SVP nicht zu überflügeln.
Womit – fast unbemerkt – eine der letzten und einst stärksten Bastionen des Schweizer Freisinns wohl endgültig gefallen ist.
Noch vor 50 Jahren galt: Wer in diesem Kanton etwas werden will, tut gut daran, Mitglied der FDP zu sein. «Wer das jeweils richtige Parteibuch nicht als Ausweis vorzuzeigen hat, bewirbt sich umsonst um einen Platz an der Staatskrippe», schrieb Fritz René Allemann in seinem Standardwerk «26 mal die Schweiz» (Ausgabe 1985) zum Kanton Solothurn. Und selbstverständlich waren die meisten und die besten Plätze an der Staatskrippe denen mit FDP-Parteibuch vorbehalten. Dadurch war die FDP in Solothurn aber auch – anders als andere freisinnige Kantonalsektionen – eine ausgesprochene Volkspartei, die Industrielle, Gewerbetreibende, Bauern, ja sogar Arbeiter unter ihrem Dach vereinte.
Verlust an Gewicht und Profil
Bis 1917 – und kurzzeitig wieder 1929 – verfügten die Freisinnigen sogar über die absolute Mehrheit im Solothurner Kantonsrat. Aber noch 1981 gewannen sie 66 der 144 Parlamentssitze. Bis 1952 besetzte die FDP drei von fünf Regierungssitzen. Später waren es immer zwei.
Der beschleunigte Abstieg setzte vor knapp 20 Jahren ein. 2007 verlor die FDP ihren zweiten Nationalratssitz, 2015 ihren traditionellen Ständeratssitz. Die Mitte mit Pirmin Bischof und die Sozialdemokraten mit Roberto Zanetti und später mit Franziska Roth halten seither die beiden Solothurner Ständeratssitze. 2023 scheiterte der Versuch, den Sitz zurückzuerobern, kläglich.
Mit dem Verlust an Wählerinnen und Wählern geht für die FDP ein Verlust an liberalem Profil und politischem Gewicht einher. Das entspricht aber einem gesamtschweizerischen Phänomen. Ja, es scheint zurzeit fast schon das Schicksal des Freisinns zu sein, dass er sich als eigenständige bürgerlich-liberale Kraft neben der SVP nicht mehr zu behaupten vermag. Stattdessen reiht man sich (zu) oft fast schon wider besseren Wissens in Sachfragen einfach hinter der national-konservativen Partei ein.
Zweiter Bundesratssitz in akuter Gefahr
So geschehen etwa in der Baselbieter Wahlreform zur Einführung des Doppelproporzes. Dieser sorgt dafür, dass kleinere Parteien wie etwa die EVP oder die GLP gerechter im Landrat vertreten sind. Die FDP, die vom neuen Wahlrecht anders als die grosse SVP keine Verluste zu befürchten hat, kämpfte gleichwohl an der Seite der Volkspartei gegen das neue Wahlrecht. Vergeblich übrigens, wie sich später zeigte. Das Volk konnte offenbar die etwas gesuchte Argumentation der Bürgerlichen nicht nachvollziehen und hiess die Reform an der Urne deutlich gut.
Nun ist es keineswegs so, dass der Staat Schweiz keine liberale Kraft benötigen würde. Diese Rolle können die «Liberalen» aber nicht spielen, wenn sie sich die Positionen der SVP zu eigen machen. Stattdessen riskieren sie, dass die Wählerinnen und Wähler zunehmend das Original wählen. Mit der Folge, dass die FDP 2027 ihren Anspruch auf zwei Bundesräte, der bereits jetzt ins Provisorium versetzt ist, definitiv verliert. Allerdings könnte dieser Sitz unter den bestehenden Vorzeichen dann nicht zur Mitte-Partei wechseln, wie diese hofft, sondern zur SVP.
Dieses Szenario mit drei SVP-Bundesräten, bisher als national-konservatives Wunschdenken belächelt, hat jüngst Politologe Claude Longchamp ins Spiel gebracht. Und gar so abwegig scheint es nicht mehr.
Es wäre für die FDP die nächste Zeitenwende.
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