«Dido and Aeneas»: Die Königin lässt sich bitten

Henry Purcells Stück verschmilzt auf der Grossen Bühne mit zeitgenössischen Klängen und aktuellen Fragestellungen.

«Dido and Aeneas» am Theater Basel, Witwe, Wohnzimmer
Obsessive Phantasie: Eine reiche und mächtige Witwe identifiziert sich mit der Heldin Dido. (Bild: Ingo Höhn)

Ein Bett an der rechten Bühnenseite eines mit Ölgemälden vollgehängten Herrschaftshauses. Aus ihm schält sich – sind es zehn, sind es zwölf Leintücher? – eine ältere Frau heraus, die zu amorphen, schleifenden Geräuschen krächzende Laute von sich gibt. Das soll die Karthagerkönigin Dido sein? Nicht ganz. Vielmehr eine Dame der gehobenen englischen Klasse, die sich irgendwie in die mythische Königin hineinfantasiert und während der kommenden hundert Spielminuten nicht von ihren Wahnvorstellungen ablassen wird.

Wir sind im Theater Basel, Grosse Bühne, wo am Samstag die heftig beklatschte Premiere der Barockoper «Dido and Aeneas» stattfand, komponiert vom Engländer Henry Purcell und vermutlich 1682/83 an einer Londoner Mädchenschule uraufgeführt. Im Stück geht es um die Karthagerkönigin Dido, eine Witwe, die sich nur nach zähem Widerstand in den Trojanerhelden Aeneas verliebt. Der aber auf höhere Weisung – oder ist es nur Betrug? – die zuerst abweisende, dann zunehmend bereitwillige Geliebte verlässt, um nichts Geringeres als die Gründung der Stadt Rom in Angriff zu nehmen. So stehts jedenfalls bei Vergil, und so verlangt es der Sagenstoff, den nach Purcell auch Hector Berlioz in eine – allerdings etwa fünfmal so lange – Oper gegossen hat.

Purcells Partitur enthält einige der schönsten Stücke, die das an Preziosen reiche Barockzeitalter zu bieten hat.

Ob die moralische Botschaft des Stücks – eheliche Treue über den Tod hinaus – die Schülerinnen von damals erreicht hat, ist unbekannt. Gewiss ist nur, dass Purcells Partitur einige der schönsten Stücke enthält, die das an Preziosen reiche Barockzeitalter zu bieten hat. Und dafür hat das Theater Basel nicht nur die in der Barockszene bekannte Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis aufgeboten, sondern auch das Barockorchester La Cetra unter dem Dirigenten Johannes Keller und den theatereigenen, mit allen stilistischen Wassern gewaschenen Chor (Einstudierung Michael Clark).

Es war daher eine gelinde Enttäuschung, als zu Beginn ein Sprecher des Theaters Frau Chappuis als indisponiert meldete. In der Tat sang sie nicht mit voller Kraft, wirkte vorsichtig in der Stimmentfaltung und schien vor allem im dritten Akt an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Und da sie – entgegen dem Originaltext – neben der Herrscherin Dido auch noch die böse Zauberin und den Geist Merkurs verkörpern musste, hatte sie ein beträchtliches Pensum zu absolvieren. Das Premierenpublikum dankte ihr dafür, dass sie trotz erkennbarer Schmerzen auftrat.

«Dido and Aeneas» am Theater Basel, Tänzer
Es wird viel getanzt auf der Basler Bühne. (Bild: Ingo Höhn)

Álfheiður Erla Guðmundsdóttir singt mit hellem, lieblichem Sopran die Gefährtin Belinda, und Hope Nelson vom Opernstudio ist in einer kleineren Partie zu hören – ein Ohrenschmaus. Die einzige männliche Gesangspartie gehört Ronan Caillet, der dem Kriegshelden und Liebesverweigerer Aeneas seinen anschmiegsamen Tenor leiht.

Im hochgefahrenen Orchestergraben spielt das Barockorchester La Cetra unter Johannes Kellers Leitung. Farbig, knackig und beseelt, wie man es von diesem Klangkörper gewohnt ist. Doch begnügt es sich diesmal, entgegen seinem Image als «Originalklang-Orchester», nicht mit dem von Henry Purcell Komponierten.

Offenbar sind dem Theater Basel nach dem «Ring des Nibelungen» die finanziellen Mittel knapp geworden.

Etwa zwei Drittel der Musikzeit sind vom 2000 geborenen Japaner Atsuki Sashai neu komponiert, und der offenbar auch als Instrumentalist an Geige und Cello geschulte und auf der Bühne präsente Vollblutmusiker hat der Versuchung widerstanden, den herrlich farbigen, tänzerischen Barocksound von Purcell in ein heutiges Musikidiom zu übersetzen. Vielmehr schafft Sashai ruhige Klangflächen und Strukturen aus Einzel- und Liegetönen, die es nie mit dem tänzerischen Duktus der Musik Purcells aufnehmen wollen.

Getanzt wird trotzdem viel auf der Basler Bühne, bald zucken die Tänzerkörper im Gleichtakt vor einem an der Wand schaukelnden Bild, bald lassen sie sich Slapstick-Einlagen wie jene vom endlos aus einem Kännchen fliessenden Schwarztee für Aeneas einfallen, bald vereinigen sich Nackte im Trockeneisnebel zum bewegenden Abschiedsgesang der Königin Dido. Für all das ist das belgische Theaterkollektiv «Peeping Tom» beziehungsweise sein Chef Franck Chartier verantwortlich, das diese Produktion bereits in andern Städten, so etwa in Genf, gezeigt hat. 

Die Basler Aufführung ist daher ein halbes Gastspiel, oder vornehmer ausgedrückt eine Koproduktion mit anderen Häusern. Was nicht unbedingt im Sinn des Leistungsauftrags unseres mit 48 Millionen Franken komfortabel subventionierten Theaters ist, dem offenbar nach dem «Ring des Nibelungen» die finanziellen Mittel knapp geworden sind. Was aber dem Haus immerhin zu einem künstlerisch anregenden, sehenswerten Abend verholfen hat.

Weiterführende Links:

Oper am Theater Basel

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