Ein Sommernachtstraum

Kurz vor dem Nationalfeiertag bekommt Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter einen Anruf: Ursula von der Leyen.

1.-August-Feier auf dem Rütli, 2024
Bundesfeier auf dem Rütli. (Bild: Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft / Marco Zanoni)

In Bern klingt schrill das Telefon, unüberhörbar ist der Ton, im Büro von Frau Keller-Sutter, der schweizerischen Landesmutter. Es meldet sich am Apparat bei ihr kein andrer Bundesrat, doch ist die Stimme ihr vertraut, betont gemessen und nicht laut: «Ich bitt' die Störung zu verzeihen, ich bin's, die Ursi von der Leyen. Es drängt mich, Karin, Dich zu bitten, ob wir nicht demnächst ohne Dritten uns treffen könnten: Sag mir, wo; es macht mich grade nicht sehr froh, wie unsere Relations stehen; es müsste doch auch anders gehen.»

«Ich nehme an», meint Sutter-Keller, «es wär' Euch lieber, es ging schneller mit dem Vertrag, der bei uns liegt, doch ob er je zurück auch fliegt zu Euch, von uns ratifiziert, das ist noch längst nicht garantiert. Mag’s mancher auch von Euch beklagen: das Volk, das hat bei uns das Sagen (vielleicht wird, ohne Ständemehr, die ganze Sache nicht so schwer).»

«Nein, nein», sagt Ursi drauf und flötet, wobei sie, niemand sieht's, errötet: «Wir fordern nichts, im Gegenteil: macht frei den Weg zu unsrem Heil.»

Die Eidgenossin reagiert, was nicht erstaunt, leicht irritiert; dann aber einigt sie im Nu mit ihr sich auf ein Rendezvous: «Da ich mich unlängst bitten liess, zu reden auf der Rütliwies' am Ersten Achten, wär' es fein, Du fändest Dich dort auch gleich ein.»

Es zieht die EU-Queen dorthin zum vorgeschlagenen Termin. Wie Karin nun die Ursi sieht, weiss sie nicht recht, wie ihr geschieht. Vor ihr steht, eine wahre Pracht, ein Weib in einer Gotthelftracht, die eine Schweizer Fahne schwingt und dazu voller Inbrunst singt, was Karin fast erstaunt noch mehr, das «Trittst im Morgenrot daher».

Verwirrt, doch auch erwartungsvoll, fragt Karin Ursi, was das soll. Darauf entgegnet jener diese auf der bedeutungschwanger'n Wiese, wobei sie, was ihr bestens glückt, den Strohhut rasch zurecht noch rückt: «Wir haben endlich eingesehen und wollen das jetzt eingestehen, dass wir seit allzu vielen Jahren ganz einfach auf dem Holzweg waren. Wir geben zu, das ist uns wichtig: so, wie Ihr’s macht, so ist es richtig. Deshalb ist allen klar in Brüssel: Es gibt für uns nur einen Schlüssel zum Glück; wir werden prosperieren allein, wenn wir uns integrieren in Euren Staat; in dieser Stund' noch nehmt uns auf in Euren Bund. Europa ist zufrieden schon bei Euch auch nur als Halbkanton.

Der Euro hat dann abzudanken, es zählt für uns nur noch der Franken; die Gelder fliessen dann nach Bern (gewiss nehmt Ihr den Zaster gern); wir werden klaglos akzeptieren, dass Eure Richter uns jurieren, sie sind die unsrigen dann auch. Wir übernehmen jeden Brauch von Euch; auch uns seht ihr bald rühren im Caquelon und zum Mund dann führen mit Käs' umhüllte kleine Brocken, mit Rösti wird auch uns man locken (und sag mir gleich doch auch noch, bitte: Wie macht man eine Fotzelschnitte?); es tritt gleich jeder von uns ein in mindestens einen Verein; und selbstverständlich, genial, sind jetzt auch wir nur noch neutral.»

Frau von der Leyen schweigt entzückt und scheint beinah' etwas entrückt. Dann fängt sie wieder an zu singen und lässt den Psalm nochmals erklingen.

Schrill klingt in Wil, noch hat die Nacht dem neuen Tag nicht Platz gemacht, im Wohnhaus von Frau Keller-Sutter, der schweizerischen Landesmutter, unüberhörbar ist der Ton und penetrant, das Telefon. Aus einem sonderbaren Traum gerissen jäh und wach noch kaum, vom grad Erlebten irritiert und ob der Störung enerviert, fragt sie sich, und sie seufzt dabei, wer das um diese Zeit wohl sei. «Doch nicht, ich würd's ihr nicht verzeihen, schon wieder diese Von der Leyen?» Dann spricht ins Handy sie: «Hallo?», worauf die Antwort lautet so: «Ich bin, ich sag es unumwunden, ganz offensichtlich falsch verbunden.»

Es ist nach diesem Ungemach die KKS nun glockenwach; jetzt nochmals bei ihm einzukehren, wird Morpheus ihr gewiss verwehren. Sie trinkt Kaffee und macht sich frisch, setzt sich dann an den Arbeitstisch und schreibt, dran feilt sie lange schon, zu Ende ihren Fest-Sermon, den, dazu hat man sie erkoren, sie dort, wo einst die Väter schworen, am ersten Abend im August vortragen wird mit grosser Lust (PS: Nur durch ein langes Feilen entstehen wirklich schöne Zeilen!). Ihr Ziel ist, dass man ob dem See vernehmen soll ein Plädoyer, wie es gehalten ward noch nie, für unsere Demokratie. Sie überfliegt nochmals die Zeilen, dann, ohne länger zu verweilen, schickt sie den Text zur Inspektion an J.D. Vance nach Washington und macht sich auf, so will es scheinen, entspannt und ganz mit sich im Reinen, noch leuchtet hell der Morgenstern, viel gibt's zu tun dort, auf nach Bern.

PS: Wann, fragt sich bang Helvetia, ist Donalds Zoll-Brief endlich da? Gibt es bei uns dank Karins Charme bald den erhofften Endalarm? Oder verschafft uns anstatt Lust der Erste im August viel Frust?

*Hansjörg Reinau-Krayer wohnt in Binningen und war bis zu seiner Pensionierung am Basler Gymnasium Leonhard als Lehrer für alte Sprachen und Geschichte tätig.

Weiterführende Links:

Gedicht zum 1. August

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