Jogging: Der Lauf ins Bünzlitum

Max Kaufmann, Kolumnist
(Bild: Céline Stöckli)

Seit vergangenem Herbst habe ich ein Hobby, das mir ein wenig peinlich ist. Über einen Kurs im Unisport, in dem man mit anderen Studis joggen geht, habe ich Freude am Laufen bekommen. Ehrlich gesagt hat es mir so den Ärmel reingezogen, dass ich inzwischen meine Läufe auf Strava tracke.

Auf diesem Social Media für Jogger*innen und Radfahrer*innen sehen Follower gegenseitig, welche Strecke sie in welchem Tempo gerannt oder geradelt sind. Seither geht mein Blick nach einem Lauf sofort aufs Handy, um meine Kilometer-Pace zu checken und anschliessend beim Dehnen auf Kudos – digitalen Applaus – meiner fünf Follower zu warten.

Zumindest bin ich mit diesem Hobby nicht allein; Joggen ist gerade wieder einmal im Trend. Die drei Lauftraining-Gruppen im Unisport sind wöchentlich voll, und in der ganzen Stadt spriessen Run Clubs aus dem Boden. In diesen Laufgruppen steht oft nicht der Sport, sondern das Soziale im Vordergrund. Ich war selbst noch nie da. Aber ich kenne sowohl Leute, die nach dem ersten Mal vom ständigen Schwatzen genervt nie wieder teilgenommen haben, als auch solche, die dort ihre jetzige Beziehungsperson kennengelernt haben.

Joggen nimmt in meiner Bubble gerade die gleiche Rolle ein wie das Rennradfahren bei Männern in ihrer Quarterlife Crisis.

In meinem Umfeld begeistern sich gerade einige für das Laufen. Vielleicht liegt es daran, dass ich auf Mitte Zwanzig zusteuere: Joggen nimmt in meiner Bubble gerade die gleiche Rolle ein wie das Rennradfahren bei Männern in ihrer Quarterlife Crisis. Noch nie trugen so viele Menschen in meinem Freund*innenkreis Apple Watches oder Fitbits und wussten so gut über ihren Ruhepuls Bescheid. Es ist nicht mehr weit bis zur Halbmarathon- oder Triathlon-Anmeldung.

Bei mir beschränkt sich das neue Hobby momentan auf ein bis zwei Läufe pro Woche. Mein Instagram-Feed ist trotzdem schon voll von selbsternannten Laufgurus, die versprechen zu wissen, wie ich meine Fünf-Kilometer-Zeit innerhalb von zwei Monaten halbiere, ohne dabei in den roten Bereich zu geraten. Dass sie mit dem Trainingsplan gerade noch für jede Einheit einen anderen passenden Schuh präsentieren, geschieht sicher nicht nur aus Interesse, meine Knie und Schienbeine vor Laufverletzungen zu schonen.

Ich fühle mich älter und bünzliger, als mir lieb ist.

Mein Verhältnis zum Joggen ist also zwiegespalten. Selten hatte ich so Freude am Sport wie in den vergangenen Monaten, und auch wenn ich es nicht gerne zugebe: Es tut mir gut, nach Feierabend an die frische Luft zu gehen und neben dem Kopf auch den Körper ein bisschen zu spüren. Es nervt mich aber, meine eigene Leistung aufzuzeichnen, zu messen und anschliessend über Strava mit anderen zu vergleichen. Gerade weil ich mich dabei ertappe, wie es mir Spass macht, mit Freund*innen über die neuesten Läufe und Zeiten zu reden, fühle mich älter und bünzliger, als mir lieb ist.

Dinge schnell peinlich oder cringe zu finden, wie ich mein neues Hobby, ist in meiner Wahrnehmung typisch für meine Generation – oder auch nur für meine Bubble. Mir fällt es meist schwer, vielleicht täte es manchmal aber gut, mich über dieses Gefühl der Peinlichkeit hinwegzusetzen und etwas zu machen, auch wenn es sich anfühlt wie der Schritt ins Bünzlitum.

Kolumne: «Aus meiner Bubble»

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