Fussball-EM der Frauen: Nur die Männer stören
Der Kolumnist hat im Public Viewing mehrere irritierende Szenen beobachtet – und fordert, dass Männer ihre Freunde auf das Fehlverhalten hinweisen.
Eigentlich gibt die Fussball-EM, die gerade in der Schweiz stattfindet, alles andere als Anlass zu nörgeln. Ein Zuschauer*innen-Rekord nach dem anderen wird gebrochen. Fans verschiedener Länder ziehen gemeinsam durch die Städte zum Stadion und feiern friedlich. Hinzu kommt das starke Team der Schweizerinnen, die erstmals das Viertelfinale erreichen. Ihre Freude und Begeisterung wirken ansteckend, und mit ihrem Auftreten sind sie die denkbar coolsten, beeindruckendsten Vorbilder für junge Fussballer*innen.
Das Schöne an dieser EM ist für mich, mit Freund*innen Fussballspiele zu schauen, die vom Stadion oder Public Viewing sonst fernbleiben, weil sie das Verhalten von Männern dort (über das ich mich bereits hier ausgelassen habe) abschreckt. Die stattdessen verbreitete fröhliche Stimmung greift auf sie über: Auch meine Freundin, die es todlangweilig findet, wenn ich Fussball schaue – so viel zu den Klischees einer hetero Beziehung – textete nach dem letzten Gruppenspiel der Schweizerinnen vom Public Viewing: «OMG, so krass gewesen, ich bin jetzt auch Fan!».
Es erstaunt mich also nicht, ist die Begeisterung für die EM gerade so gross: Endlich fehlen bei einem grossen Turnier die unangenehmen Seiten des Männerfussballs. Endlich stören – wir – Männer, oder zumindest das Verhalten eines Teils der Männer, nicht. Das dachte ich mir zu Beginn der EM, und glücklicherweise stimmt das im Grossen und Ganzen auch. Und trotzdem sind es immer Männer, die für unangenehme Situationen sorgen.
Schon beim Eröffnungsspiel Schweiz gegen Norwegen, das ich vor einer Bar schaute, liessen sich einige Gäste des Public Viewings von einem aggressiven, offensichtlich eine Auseinandersetzung suchenden Autofahrer provozieren, sodass die Situation verbal und beinahe auch physisch eskalierte. Als könnten die Männer es nicht ertragen, dass für einmal Fussball-spielende Frauen im Zentrum stehen, nahmen sie mit ihrer Aggression den Raum ein, verängstigten alle Anwesenden und verdarben den Start ins Turnier. Aufs Spiel schaute in der Schlussphase niemand mehr.
Man könnte meinen, bei Männern, die Fussball der Frauen schauen, kann man die Ansprüche ein wenig höher ansetzen als sonst.
Als ich mir das entscheidende Schweizer Gruppenspiel gegen Finnland in der «Fan Zone» auf dem Barfüsserplatz ansah, war ich ebenso negativ überrascht. Während weiter vorne viele Familien mit Kindern sassen und das Publikum punkto Gender ziemlich durchmischt wirkte, waren ein Freund und ich von Männergruppen umgeben, die das Spiel wie jedes andere nur als Anlass fürs Saufen und problematische Sprüche brauchten. Als einer – seine etwa 14-jährige Tochter stand neben ihm – einen derart sexualisierenden, ekligen Spruch über eine 18-jährige Nati-Spielerin machte, dass ich mich schockiert zu ihm umdrehte, prosteten er und seine Kollegen mir nur mit ihren Bierdosen zu.
Man könnte meinen, bei Männern, die Fussball der Frauen schauen, kann man die Ansprüche ein wenig höher ansetzen als sonst. Sich für diese Spiele zu interessieren, sollte doch ein gutes Zeichen sein. Meine bisherigen Erfahrungen an der EM enttäuschen diese Hoffnung aber. Das frustriert mich, gerade auch, weil in solchen Situationen nebenan stehende Männer viel zu selten ihre Freunde und Kollegen darauf hinweisen, dass sie sich gerade unangenehm verhalten.
Solange wir diese Verantwortung nicht wahrnehmen und die Kontrolle untereinander nicht greift, wird es bei ansonsten rundum freudigen Veranstaltungen wie dieser EM dabei bleiben: Nur die Männer stören.