ESC-Virus versus ESC und Virus
Irgendwie, so dachte ich am Sonntag vor einer Woche, muss ich die letzten Virus-Leichen von Omikron aus meinem System kriegen. Anstrengende Grossratswoche in Aussicht, ich brauchte die volle Dosis Präsenz. Also Spaziergang, und zwar mit den BVB nach Riehen Dorf, dann der Wiese entlang zum Rheinhafen und dem Rhein entlang bis zur Mittleren Brücke. Die übliche Route. Das war der Plan, und so waberte ich angeschlagen downtown.
Ich hatte die Rechnung ohne Conradin Cramer gemacht. Die englische Durchsage im Bus interpretierte ich noch als Omikron-Folge, schlägt ja zuweilen auch aufs Gehirn. Auf der Anzeige stand zwar «Claraplatz», aber bei «University» wurden wir alle «kindly requested to leave the bus». Schockschwerenot, die ESC-Parade, von wegen frische Luft und Kreislauftraining. Wenn ich schon da war, konnte ich auch zuschauen. Ich schlug mich über die Brücke und fand beim Kaffi Spitz – kommt mir bloss nicht mit Dupont Dupont, erinnert mich an Tin Tin – an der Hauswand einen freien Platz.
Und da hampelte dieses Maskottchen daher, es folgten Oldtimer-Drämmli, Schulklassen, Fasnachtscliquen, die Polizeimusik, Jodler, und wieder einmal haderte ich damit, dass wir Baslerinnen die scheusslichste aller Trachten zur Schau tragen müssen. Bref, es war ein Basler Folklore-Querschnitt bestehend aus einem Mix aus Fasnacht, Dorffest, 1. August und den obligaten Bratwurst-Wolken. Und dann, tatsächlich, in den Trams wohl die Künstler und Künstlerinnen. Wenn wir deren Outfit zur Tracht hätten, würde sogar ich zum Trachtenmädchen. Trachtenmädchen sind alle mindestens Ü50, also ruhig Blut.
Das Partyvolk feiert den Aggressor, zusammen mit Peace-Zeichen und Anliegen von LGBTQIA+.
Und unmittelbar vor mir Palästina-Fahnen an langen Stangen. Die hatte man uns Grossratsmitgliedern auch schon um die Ohren gehauen. Damals hatte ich die Aktivistinnen und Aktivisten nicht beobachten können. Jetzt aber, völlig in Ruhe und unbeachtet, konnte ich es; und es war aufschlussreich.
Sie hatten Spass. Diesen Wir-Gefühl-Spass, es läuft etwas, was sind wir doch für eine geile Community. Gegenüber standen die Kollegen, man fuchtelte hin und her, lachte und hielt nebenbei irgendwie die Fahne hoch. Sie trugen riesige Rucksäcke, vielleicht ging man ja noch was bräteln am Rheinbord, später, Vegi-Würstchen. Und da lag auch noch ein Hund.
Tolle Stimmung und nicht die Spur eines Quäntchens Betroffenheit über den Krieg in Israel und Gaza. Eine Party-Jugend, die sich fröhlich die Kufiya umbindet, das Symbol für den Kampf gegen Israel. Israel, dessen totale Vernichtung das Ziel der Hamas ist. Auf dem Territorium Israels soll ein islamischer Gottesstaat errichtet werden. Israel kämpf also ums Überleben. Und das Partyvolk feiert den Aggressor, zusammen mit Peace-Zeichen und Anliegen von LGBTQIA+.
Sie instrumentalisieren eine Jugend, die Spass haben will und bereitwillig mitmacht.
Keiner fragt sich auch nicht ansatzweise, wo es denn einer nicht binären oder schwulen oder schon nur auch weiblichen Person besser geht, ob in Israel oder unter der Hamas. Es interessiert keinen, Widersprüche sind egal, was sind wir doch für eine geile Community, nur das zählt.
Natürlich sind irgendwo engagierte, furiose Drahtzieher, wie die Aufnahme des Mannes zeigt, der der israelischen Sängerin das Zeichen des Halsabschneidens macht. Sie alleine könnten aber ohne das Party-Volk nichts ausrichten, sie instrumentalisieren eine Jugend, die Spass haben will und bereitwillig mitmacht – für das Gefühl, einer geilen Community anzugehören.
Eine offensichtlich an der eigentlichen Problematik desinteressierte Masse bewirkt, dass die Jüdinnen und Juden dieser Stadt beschützt werden müssen, sich nicht mehr wohl fühlen. Als Ventile für tumbe Aggressionen juveniler Gruppen hinhalten müssen. Projektionsflächen für Frust aller Art sind. Diese Pro-Palästinenserinnen merken nicht, dass sie sich ausgerechnet für eine politische Organisation einsetzen, die all ihren Werten, insbesondere denen der LGBTQ+-Community und den feministischen, diametral entgegensteht. Sie feiern. Und nun auf ein Bier ins Hirschi.
Ich nehme die Fähri, an den Fahnen vorbei, Omikron steckt noch immer im System. In meinem, im anderen steckt der Wurm drin.