«Die Gesundheitspolitik setzt auf einen Markt, der gar nicht spielt»
Die Basler SP-Nationalrätin Sarah Wyss engagiert sich in der Gesundheitspolitik. Im Vordergrund stehen für sie: eine Medizin, die niemanden benachteiligt, eine rasche Digitalisierung und eine kantonsübergreifende Planung.
Sarah Wyss hat als Präsidentin der Finanzkommission des Nationalrats schweizweit Bekanntheit erlangt. Doch die Baslerin engagiert sich mit Herzblut auch in der Gesundheitspolitik. Sie ist Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Dabei sieht sich die Sozialdemokratin auch oft in einer Minderheitsposition.
Welche Baustellen der Schweizer Gesundheitspolitik stehen für die Wyss gegenwärtig im Zentrum?
Eine Medizin, die den Patientinnen und Patienten dient
Wyss hält nicht jede Kostensteigerung im Gesundheitsbereich a priori für schlecht. Doch höhere Kosten ohne medizinischen Mehrwert müssten begrenzt und nötige Mehrkosten fair auf die Bevölkerung verteilt werden können. Dies sei in Anbetracht der heutigen Kopfprämien schwierig – solche seien grundsätzlich unfair. Sie verfolge die Entwicklung des Gesundheitswesens stets aus Sicht der Patientinnen und Patienten und der Bevölkerung, während im Bundeshaus viele auch die Interessen anderer Player im Gesundheitswesen verträten.
Die Basler Politikerin hat in der vergangenen Session dem Kostendämpfungspaket 2 des Bundesrats zugestimmt. Der Kompromiss nach dem Balanceakt sei vertretbar, auch wenn nach zwei Jahren Diskussion nur wenig durchgekommen sei. Wyss bedauert insbesondere, dass es für die Koordinationsnetzwerke keine Mehrheit gegeben habe. Das Bundesamt für Gesundheit habe das Kostensenkungspotenzial der Netzwerke zur koordinierten Versorgung immerhin auf 250 Millionen Franken pro Jahr geschätzt – das hat die Mehrheit im Nationalrat dennoch nicht überzeugt. Ob die jetzt verabschiedeten Massnahmen ihr Ziel erreichen, sei fraglich, sagt die 36-Jährige. Immerhin werde jetzt bei den Medikamentenpreisen angesetzt.
Sorgen bereiten Wyss die neusten Sparmassnahmen, die das Bundesamt für Gesundheit zumindest teilweise öffentlich gemacht hat. Diese gehen ans «Eingemachte».
Einheitskasse «kein alleiniger Gamechanger»
Wyss ist der Meinung, dass die Sparmassnahmen die Chancengleichheit beeinträchtigten und zu einem Verlust von Kompetenzen führten. Sie hat eine entsprechende Interpellation im Nationalrat eingereicht. Geringverdienende, Behinderte und Menschen mit Migrationshintergrund würden benachteiligt. «Volkswirtschaftlich ist das Humbug», sagt Wyss. Was im Gesundheitsbereich eingespart werde, falle später im sozialen Bereich umso höher an.
Und wie steht die SP-Nationalrätin zur geplanten Initiative für eine Einheits-Krankenkasse? Sie will ihre Partei dabei unterstützen. Doch man müsse sich bewusst sein, dass dies andere grundsätzliche Probleme nicht löse, betont Wyss. Eine Einheitskasse sei ein Puzzlestein, aber «kein alleiniger Gamechanger».
Bessere medizinische Behandlung von Kindern
Sarah Wyss ist im vergangenen Herbst erstmals Mutter geworden. Die medizinische Versorgung von Kindern liegt ihr besonders am Herzen. Das Parlament hat zwar Vorstösse zugunsten der Kinder angenommen, sie aber nur teilweise umgesetzt. Der Handlungsspielraum des Bunds ist allerdings beschränkt. Mit dem neuen Tarifsystem Tardoc werden Kinder bei ambulanter Behandlung weniger benachteiligt.
Auch im Bereich der Vorsorge hat sich Wyss im Parlament durchgesetzt, allerdings hapert es bei der Umsetzung. Nach wie vor gelte es, die medizinische Behandlung von Kindern zu verbessern. Vor allem bei der stationären Behandlung müssten Lösungen gefunden werden, auch für das Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB).
Einen Erfolg verzeichnete Wyss zu einem früheren Zeitpunkt in einem speziellen Fall: Beide Räte hiessen das Gesetz für eine Anschubfinanzierung bei Behandlungen von Kindern mit schweren Autismus-Spektrum-Störungen gut.
Digitalisierung bringt bessere Behandlungen
Grosse Hoffnungen setzt Wyss auf die Digitalisierung, die jetzt langsam in Gang komme. Seit Jahresbeginn läuft das Massnahmenpaket Digisanté, das die Räte nach langem Ringen und auch auf Druck aus der Region Basel beschlossen haben. Für Wyss kommt Digisanté «etwa 20 Jahre zu spät». Dennoch sei es wichtig, dass jetzt Mindeststandards durchgesetzt würden, damit die Klinikinformationssysteme «endlich kompatibel werden».
Für Wyss ist entscheidend, dass Daten überall gleich eingespiesen werden. Wer hat Zugang? Wer will Zugang? Viele Patientinnen und Patienten sind allerdings skeptisch gegenüber der Digitalisierung. Wer nicht wolle, könne ja darauf verzichten (opt-out Modell), sagt die Baslerin. Die Erfahrung zeige aber, dass nur etwa zwei Prozent davon Gebrauch machen. Schliesslich profitierten die Patienten und Patientinnen etwa durch bessere Behandlungen. Die Schweiz bewege sich damit bei der Digitalisierung langsam in eine gute Richtung. Das Parlament erhalte die Oberaufsicht.
Bei den rund einem Dutzend Projekten komme es nun darauf an, dass die Leistungserbringer und die Kantone mitmachen. Noch sei die Gefahr, dass sie scheitern, nicht vollständig gebannt.
In Gesundheitsregionen planen
Wyss stellt in jüngster Zeit fest, dass in der Gesundheitspolitik nicht alle Entscheidungen entlang eines Links-Rechts-Grabens getroffen würden. Man sei sich in Bundesbern bewusst, dass es Probleme gebe und diese gelöst werden müssten. Auch bei den Zuständigkeiten der Kantone veränderten sich die Haltungen. Deshalb ist sich die Mehrheit inzwischen einig, dass künftig nicht nur auf Kantonsebene, sondern auch in Gesundheitsregionen Lösungen gefunden werden müssen. Ein entsprechender Vorstoss von Wyss wurde parteiübergreifend deutlich überwiesen.
Zu dem in Basel-Stadt erfolgten Stopp für den geplanten Neubau eines Klinikums 3 für das Universitätsspital Basel äussert sich Wyss vorsichtig. Sie könne den Entscheid verstehen, vielleicht sei ein Schritt zurück nicht schlecht. Aus nationaler Perspektive sei heute klar, dass eine interkantonale Spitalplanung nötig ist. Die Überlegungen, ob es das Klinikum 3 für das Universitätsspital Basel braucht, dürften deshalb nicht an der Kantonsgrenze Halt machen. Entscheidend sei, dass das Universitätsspital Basel ein Vollangebot habe. Vollversorger hätten ein finanzielles Problem und brauchten deshalb Unterstützung, solange die Tarife nicht kostendeckend seien.
Beide Basel sollen zusammenarbeiten
Wyss ruft Basel-Stadt und Baselland dazu auf, «unbedingt» einen neuen Anlauf zur Zusammenarbeit zu nehmen. Es gebe zu viele unnötige Angebote in der Region. «Es ist wirklich ein Trauerspiel, dass man sich nicht auf eine sinnvolle Spitalliste einigen konnte.» Und: Das Unispital und das Kantonsspital Baselland müssten zusammenarbeiten.
Wyss stört sich auch daran, dass zu viele Spitalkosten auf die Prämien abgewälzt würden – vor allem in der Deutschschweiz. Objektfinanzierung für Grundversorger-Spitäler seien absolut möglich. Das sei sozialer als die Finanzierung über die Prämien. Zwar gelte es durchaus, Überkapazitäten abzubauen oder mehr auf ambulante Behandlungen zu setzen. Doch: «Ein genereller Leistungsabbau ist nicht nötig.»