Das Leiden der Sterneköche

Die Kolumnistin empfiehlt der Spitzenküche, sich wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren, weg vom Deko-Fimmel, wenn sie wieder Zulauf haben will.

Gourmet-Essen
«Deko isst man nicht, sondern stellt sie irgendwo hin.» (Symbolfoto)

Sie räumen ab bei allen kulinarischen Preisvergaben, kassieren Stern um Stern, stehen frühmorgens in den Fischhallen und auf den Märkten und schliessen ihr Restaurant erst weit nach Mitternacht. Spitzenküche ist eine Passion, Spitzenköche und -köchinnen sind Besessene. Und wir lieben sie, spätestens seit «Ratatouille», dem Film.   

Und nun serbelt die Spitzenküche. Restaurant um Restaurant muss schliessen; passionierte, engagierte Menschen, die ihr Leben der Optimierung der kulinarischen Kunst gewidmet haben, sind am Boden zerstört. Lob über Lob, Sterne über Sterne, und keiner kommt. Was ist da los?

Ich wusste es nicht. Tatsächlich fällt es mir auch nicht ein, in entsprechende Restaurants zu gehen. Aber warum denn nicht? Ich gehe ab und zu ins Trois Rois, weil ich dort das Beefsteak Tatar so liebe. Gezielt also, weil ich dann genau darauf Lust habe. Ich gehe durchaus auswärts essen. Was nicht ganz einfach ist, weil ich unter heftigen Intoleranzen leide. Aber gerade Spitzenköchinnen und -köche beherrschen diese Problematik, bereiten alles frisch zu, wissen exakt, was in welchem Menü enthalten ist, und könnten für mich entsprechendes Essen zubereiten. Und doch gehe ich da eher nicht hin. Aus dem Bauch heraus, ich denke nicht darüber nach. Fakt ist: Es «gluschtet» mich einfach nicht. Aber warum nicht?

Der Groschen fiel kürzlich. Ich war auf Verwandtenbesuch in der Nähe von Rom. Die Gastgeberin hatte einen Unfall gehabt, ging an Krücken, und so grasten wir die Gastroszene der Umgebung ab. Und da war mir plötzlich alles klar. Beim Eingang schon dieser Duft. Nicht der penetrante Knoblauchgeruch der Pseudo-Italo-Küche, auch nicht der grässliche Mc-Doof-Duft oder die Glutamat-schwangeren Wolken, die zur Mittagszeit in den Wohnquartieren herumwabern und auch den letzten Appetit beerdigen. Jedenfalls meinen.

Ein Erwachen des Magens, ein imperatives «Ich will!», eine Hungerattacke aus dem Nichts.

Nein, es war dieser köstliche Duft nach Kräutern, Gebratenem, Zwiebelschweize, Pilzen. Ein Erwachen des Magens, ein imperatives «Ich will!», eine Hungerattacke aus dem Nichts. Das Essen kam zügig in Rom, dampfend, herrlich. Jeder Teller frisch aus der Küche, nicht unter einer Lampe hervor, nicht mit Cloche bedeckt, sondern heiss, einen Duftstrauss verbreitend. Auf dem weissen Teller befand sich schlicht das, was wir bestellt hatten, in Vorfreude, den Geschmack schon ahnend. Vor dem geistigen Auge sah ich die Köchin mit der Schöpfkelle vor dem Herd die Teller füllen, in einer Dunst- und Duftwolke kulinarischer Köstlichkeiten. Sinnlichkeit pur.

In den Sternerestaurants erhalten wir Deko, die man essen kann. Schleifchen aus Balsamico- oder andern Cremen, mit Förmchen gestanzte Rösti, Karotten in Blumenform. Mit frittierten Fäden aller Art dekoriert, roter Rande in feinsten Streifen, Kürbiskernen. Es dampft nichts, es duftet kaum. Es schmeckt natürlich grossartig, wenn die erste Gabel die Geschmacksnerven erreicht hat. Aber das merkt das Auge nicht, meldet das Auge dem Magen nicht, und der dämmert weiter in seiner Appetitlosigkeit bis der Gaumen Alarm schlägt.

Und vor dem geistigen Augen sehen wir auch niemanden aus der dampfenden Pfanne schöpfen. Wir sehen jemanden, der bastelt und büschelt, dessen Gesicht eine gefühlte Ewigkeit 20 Zentimeter über unserem Teller hängt und die Dinge peinlich genau arrangiert. Sinnlich? Alles, bloss das nicht.

Vermutlich sind auch die gehassten Erbsli-mit-Rüebli-Mischungen ein Versuch, die lauen Farben von Schnipo aufzupeppen.

Das Auge isst natürlich mit, eine alte Weisheit. Deshalb servierte meine Mutter nie Blumenkohl zu Reis, sondern Broccoli. Vermutlich sind auch die gehassten Erbsli-mit-Rüebli-Mischungen ein Versuch, die lauen Farben von Schnipo aufzupeppen. Was nicht nötig ist, denn alleine der Anblick von Schnipo mit Mayo bringt doch alle Magensäfte in Aufruhr.

Fazit: Ich fürchte, die Spitzenküche muss zurück zum Wesentlichen finden, weg vom Deko-Fimmel, wenn sie wieder Zulauf haben will. Deko isst man nicht, sondern stellt sie irgendwo hin und schaut sie an. Deko ist nie sinnlich, sondern peppt irgendetwas auf, eine kahle Mauer, ein langweiliges Regal. Gute Küche hingegen ist Kunst, ist sinnlich. Ein Teller voller dampfender Köstlichkeiten hat keine Deko nötig, im Gegenteil, denn Deko erstickt den Appetit. 

Genialität liegt stets im Einfachen, nicht im Gekünstelten. Und wenn Sie jetzt Hunger gekriegt haben, wissen Sie, was ich meine.

Kolumne: «Alles mit scharf»

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