Grosshansen
Die Kolumnistin und Mitte-Grossrätin kritisiert die überrissenen Visionen beim Herzstück, den Superblocks und der Initiative «Go Basel go!». Wer zu viel will, hat am Ende oft gar nichts.
Ein Berufsleben lang den Advocatus Diaboli zu spielen, prägt. Die Chancen, in einer Debatte zu obsiegen, sind grösser, wenn man sich als Anwältin genau überlegt, wie der Gegenanwalt argumentieren könnte. Was sind die Stärken der Gegenseite, was die Schwächen der eigenen Seite? Das sind die Fragen.
Es ist auch eine Lebensschule, die es dir irgendwann verunmöglicht, nur Schwarz oder Weiss zu sehen. Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, sagt Goethes Faust. Im Endeffekt bedeutet es aber hauptsächlich eines: Alle Aspekte suchen, sie suchen wollen, finden, gegeneinander abwägen, und erst dann entscheiden.
Die Visionäre sind permanent auf Sendung, nie auf Empfang.
In der Politik wird dies nicht getan. Man hat Visionen, und die werden mit sogenanntem Herzblut – eher mit Fanatismus – vehement verteidigt. Sobald sich Spielverderberinnen melden, die nachzudenken wagen, wird aufgefahren mit Geschütz sondergleichen. Die Visionäre sind permanent auf Sendung, nie auf Empfang. Übersehen konsequent, was das visionäre Produkt, diesen Quantensprung, gefährden könnte, wollen es mit aller Gewalt durchdrücken. Es tun dies alle Parteien, von links bis rechts.
Und dann das grosse Scheitern. Etwa beim Herzstück. Hätten manche ihre Begeisterung etwas zurückgefahren, mehr hingehört – Basel hätte gewinnen können. Aber nein, es mussten die üblichen Stararchitekten her, das Komitee wurde mit Leuchtturm-Persönlichkeiten aufgerüscht, es wurde geträumt, philosophiert, es wurden Visionen entwickelt. Und man fiel glorios auf die Nase.
Wunderbare Bilder von flanierenden Menschen unter blühenden Bäumen auf dem Marktplatz, Verkehr weg, Menschen her, so der Traum. Es sieht alles gleich idyllisch aus, ob Superblock-Träumereien oder die Innenstadt ohne Trams. Ein Paradies auf Erden, ohne Lärm, Stau, Gestank, ohne MIV und ohne ÖV, aber mit VIV, dem Veloindividualverkehr. Verweilinseln, Sonnensegel, das Paradies auf Erden. Bilderbuchwelten.
Ich habe nachgefragt. Etwa bei den Superblocks: Wie geht ihr damit um, fragte ich, dass dann zwei Welten bestehen, diejenige derjenigen, die die Wohnung gegen Grün und Idylle haben, und diejenige derjenigen, die an der Verkehrsader bleiben. Habt ihr das Gefühl, dass die Wohnungen mit Aussicht auf Grün und Ruhe dann gleich teuer bleiben wie diejenige an der Tramlinie? Wohnen dann innen die, die mehr verdienen, und aussen alle andern? Hätte ich gescheiter nicht gefragt, eine Verräterin bin ich nun, eine visionsfreie Spiesserin.
Man verstehe mich richtig: Bei Projekten, die nur Neues schaffen, ohne Bestehendes zu gefährden, kann geschwelgt werden ohne Ende. Wenn es aber um eingreifende Veränderungen geht, muss jeder, jede den Advocatus Diaboli spielen. Wer zahlt die Zeche, wer verliert bei einer Verwirklichung der Idylle? Das ist die zentrale Frage. Nur wenn diese Frage befriedigend für diejenigen, die verlieren, beantwortet werden kann, hat eine Vision eine Zukunft und eine Berechtigung.
Eine Innenstadt ohne Tram, Go Basel Go!, der neuste Coup mit den üblichen Stararchitekten und Leuchtturm-Leuten. Alle Trams sollen weg aus der Innenstadt. Haben Sie je einen der Initianten in einem Tram gesehen? Ich nicht, denn sie fahren alle Velo. Natürlich stört das Tram die Velofahrerinnen. Wie schön wäre es doch, trambefreit durch die Gassen zu radeln, im Kistenvelo.
How dare you, you Bünzli you.
Ich hingegen fahre täglich ÖV, manchmal rasch nur vom Marktplatz zum Bahnhof, zum Bankverein, immer nach Hause und von zu Hause weg. Es ist eine kleine Gruppe, die Rad fährt. Es ist die lauteste, forderndste Gruppe. Die Mehrheit, Behinderte, ältere Menschen und Kinder sind leise, und es sind sie, die das Tram benötigen. Eine Nummer kleiner, weniger Linien mitten durch die Stadt, wird gar nicht erwogen. Es muss visionär sein.
Wer nachfragt, erhält keine brauchbaren Antworten, sondern wird angegriffen. How dare you, you Bünzli you. Da müsse die Regierung dann halt Lösungen finden. Etwa Mieterhöhungen im Innern der Superblocks verbieten. Oder Shuttles auf dem Marktplatz parkieren, die die Leute zu den Trams auf die Lyss, an die Schifflände oder den Kohlenberg karren.
Den Adovcatus Diaboli zu spielen, ist unsexy. Dabei wäre genau dies urbaslerisch. Bedächtig sein, sparsam, nachdenken, es wäre nicht das Dümmste. Stattdessen regieren die Visionen der Grosshansen, wie meine Grossmutter diese Spezies zu nennen pflegte. Und scheitern zuweilen grossartig.
Wir hätten die Verbindung vom Badischen Bahnhof zum Schweizer Bahnhof gebraucht, die Entflechtung der lokalen und internationalen Eisenbahnlinien. Nur das. Aber wir wollten mehr. Und haben nun gar nichts. Danke, ihr Grosshansen.