Die emanzipatorische Krise

Die Kolumnistin hat gelernt, sich gegen Männer durchzusetzen. Doch von Zeit zu Zeit nervt sie sich über Frauen.

Frauenstreik Basel 2024
Frauenstreik 2024 in Basel. (Bild: Feministischer Streik Basel)

Kürzlich hatte ich sie wieder, meine emanzipatorische Krise. Die bahnt sich immer dann an, wenn ich in den Clinch zwischen Solidarität mit Frauen einerseits und bodenloser Genervtheit über sie andererseits gerate.

Ich kriegte von Frauenkreisen nicht viel mit, wuchs ohne Schwester, aber mit einem Bruder auf, hatte ein problematisches Verhältnis zu meiner Mutter, studierte zu einer Zeit, in der die Frauen in der krassen Minderheit waren, und ergriff erst noch einen Berufszweig der Advokatur, der jenseits des Familienrechts lag. Stets unter Männern also, jahrelang an den meisten Orten die einzige Frau. Das prägt.

Ich musste lernen, mich gegen Männer durchzusetzen. Das ist nicht ganz einfach, denn sie sind schon stimmlich überlegen. Sie waren Frauen im Beruf auf Augenhöhe nicht gewohnt, wussten nicht, wie mit mir umgehen; hier die Härte des Berufs, da die Wohlerzogenheit einer Dame gegenüber. Wollte ich mich behaupten, musste ich also eine erfolgreiche Taktik entwickeln, und das war die der rhetorischen Schärfe und Kürze. Es heisst, in der Kindererziehung müsse man die Botschaft in zwanzig Sekunden adressiert haben, danach höre das Kind nicht mehr zu. Bei Erwachsenen ist es nicht anders, es ist diese Zeit, die die Männer um mich herum brauchten, um Luft zu holen. Die musste ich nutzen. Was ich tat.

Die Frauen, die nach und nach in meinen Beruf kamen, waren eine Bereicherung. Die meisten Männer lernten zuzuhören, es war nicht mehr zwingend notwendig, die Statements gewehrsalvenartig an den Mann zu bringen. Bloss war ich es halt gewohnt und blieb dabei. In der Kürze liegt die Würze.

Die Männer dieser Kreise waren und sind hingegen oft ausschweifend. Hier noch ein kleines Bonmot, dort etwas Latein, ein kleiner Scherz. Wenn dies nicht übertrieben wird, ist es angenehm, lockert. Für uns Frauen ist diese Art der souveränen Geistesblitz-Rhetorik eher nicht geeignet, weil wir sehr gerne und sehr oft unterbrochen werden, man, und da meine ich «Mann», gibt uns den Raum dazu nicht, vor allem, wenn dieser Mann der Gegenanwalt ist. Es geht aber auch ohne Witzchen, was die Klienten ohnehin vorziehen.

«Gelaber ohne Ende. Ich hielt es nicht lange aus.»

Die emanzipatorische Krise kam, als ich in einem frauendominierten Redaktionsteam mitarbeiten sollte. Bis die nur anfingen. Mir bitte einen Tee, nein, doch ein Glas Wein. Wie geht es deinem Mann? Geht ihr nun nach Kreta oder Korsika? Gelaber ohne Ende. Nun ja, dachte ich, die müssen halt nicht um fünf Uhr aufstehen, es waren Hausfrauen, die nebenher noch etwas Zeitung machen wollten.

Ich hielt es nicht lange aus. Andere Frauengruppen folgten, zu Netzwerken für Frauen sollte ich stossen, der Frauengruppe meiner Partei. Aber stets das Gleiche: Rumgerede, nicht speditiv, ewig gingen die Sitzungen, und rasch fanden sie ohne mich statt.

In der Politik dann die Erkenntnis, dass es auch solche Männer gibt. Endlose Reden und nichts zu sagen. Allerdings geht es dabei in der Regel darum, die Redezeit zu besetzen, und nicht darum, ein gutes Ambiente zu schaffen. Denn das ist es, was Frauen machen: erstmal eine positive Stimmung schaffen, Interesse aneinander zeigen, um aus einer positiven Grundstimmung heraus die Probleme anzugehen. Das hat durchaus etwas für sich.

Auf einer professionellen Ebene ist es aber nicht nötig, denn man muss abstrahieren können, die Zeit ist nicht da. Das müssten Frauen erkennen, und tun es oft nicht. In einem professionellen Umfeld, und das sollte die Politik sein, langweilt man die Umgebung mit diesem «Gute-Stimmung-Machen» schlicht zu Tode. Geschichtchen haben keinen Platz, komm zur Sache, komm endlich zur Sache, will man schreien, es interessiert kein Schwein, was dir auch schon passiert ist in diesem Kontext. Da vorne sitzen hohe Kader, denen du zu einem Geschäft präzise Fragen stellen solltest. Nicht mehr. Nicht weniger.

So, jetzt ist es draussen. Ich bin unsolidarisch, ich verrate meine Geschlechtsgenossinnen, die ganze Emanzipationsbewegung, wir waren doch so benachteiligt, sind es vielleicht noch immer hie und da. Aber sie gehen mir derart auf die Nerven, diese Frauen, ich langweile mich zu Tode, genauso wie die Männer da vorne. Bloss, dass die deswegen keine emanzipatorische Krise haben.

Kolumne: «Alles mit scharf»

Kommentare

Ueli Keller
Bildungs- und Lebensraumkünstler

Emannzipatorische Ablöscher

Als Fachmann habe ich mich mit dem Frauen-Thema «Tagesbetreuung» als Exot erlebt. Und immer wieder als Alibi-Mann. Beispielsweise als Mitglied des Vorstands des nationalen Verbands für Bildung+Betreuung. Oder bei diversen Podien. Einmal durfte ich danach nicht mit auf das Foto, auf dem nur Frauen zu sehen sein sollten. Emanzipatorische Ablöscher gab es auch bei Stellenbewerbungen, wenn es nicht um die Qualifikation ging, sondern eine Quotenfrau gefragt war. Heute kann ich nur noch lachen, wenn ich sehe, was insbesondere auch Medien zur Frage der Geschlechter machen.