Männer und Therapie: ein verzwicktes Verhältnis

Der Kolumnist beschäftigt sich mit der grossen Diskrepanz zwischen jungen Männern und Frauen, sich bei psychischen Problemen Unterstützung zu holen.

Einsamer Mann
Allein mit seinen Problemen. (© Symbolfoto: Freepik)

Kürzlich besuchte ich die Ausstellung «Hauptsache Gesund» im Stapferhaus in Lenzburg, die sich mit dem Thema Gesundheit auseinandersetzt. Hier werden unter anderem die Fragen behandelt, was Gesundheit überhaupt ist und wie ungleich Krankheiten, aber auch die Gesundheitsversorgung in unserer Gesellschaft verteilt sind.

Eine Grafik zur psychischen Gesundheit ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Vor allem, weil wir uns in der Interpretation nicht einig waren: Sie zeigte, dass in der Schweiz im Jahr der Befragung knapp jede zehnte Person wegen eines psychischen Problems in Behandlung war. Für die einen klang das erst einmal nach sehr viel. Andere wandten ein, in unserem Umfeld – und gerade bei jungen Frauen, wie weitere Grafiken zeigten – sei dieser Anteil doch deutlich höher.

Unsere Generation geht viel eher zur Therapie als vorherige oder thematisiert dies zumindest offener. Ein Teil der Boomer sieht das als Zeichen einer neuen Empfindlichkeit unserer Schneeflöckchen-Generation. Zyniker*innen sprechen und schreiben wiederum von einem «Modethema». Offen über die eigenen Therapieerfahrungen zu reden, sei wegen der Sozialen Medien cool und trendy. Problematisch finde ich, wie beide Positionen unterschlagen, dass der grosse Bedarf nach Unterstützung die Folge von strukturellen Umständen sein könnte, die auch viele junge Menschen belasten.

Ich bin zwar wirklich kein guter Küchentisch-Psychologe. Seit dem Besuch der Ausstellung beschäftigt mich trotzdem die grosse Diskrepanz zwischen jungen Männern und Frauen, sich bei psychischen Problemen Unterstützung zu holen. Bei 25- bis 34-Jährigen ist das bei Frauen (13 Prozent) deutlich wahrscheinlicher als bei Männern (8 Prozent), wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Bei Teenies und jungen Erwachsenen bis 24 Jahre ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern (Frauen: 14 Prozent; Männer: 4 Prozent) noch deutlicher.

Wir Männer scheinen mehr Mühe zu haben zu akzeptieren, dass wir Unterstützung in Anspruch nehmen dürfen – und diese vielleicht auch brauchen.

Und kommt mir jetzt bloss nicht damit, dass Männer einfach weniger Probleme haben. Zusätzlich zu den bereits grossen finanziellen Hürden und dem an sich schon schnell überfordernden Aufwand, einen Therapieplatz zu finden, scheinen wir Männer mehr Mühe zu haben zu akzeptieren, dass wir Unterstützung in Anspruch nehmen dürfen – und diese vielleicht auch brauchen.

Das sind keine Big News. Im Nachgang der Ausstellung fährt es mir aber ein, wie ich solche Mechanismen bei mir selbst erkenne: Seit einigen Monaten besuche ich einen Psychologen zur Unterstützung in Themen, die zwar nicht existenziell sind, mich aber dennoch beschäftigen. Zuvor war ich noch nie in einer Therapie. Dass ich fast ein Jahr damit rang, mich überhaupt nach professioneller Unterstützung umzusehen, ist sicher auch dem als Mann angelernten Bild zu verdanken, kontrolliert sein zu müssen und irgendwie durchzubeissen.

Der strukturelle Aspekt, den die Ausstellung ja ebenso gut aufzeigt, soll hier aber nicht vergessen werden. Dreht sich alles um eine individuelle Läuterung, mit der die problematischen Seiten der eigenen Männlichkeit einfach weg therapiert werden, kippt das Thema Männer und Therapie schnell in eine schwierige Richtung. Diese Verdrehung wird aktuell durch die Internet-Karikatur der performative males verkörpert: Performative Männer, die sich reflektiert und therapiert zeigen, um gegenüber Frauen attraktiver zu wirken. Nur um dann, wenn es darauf ankommt, wieder problematische Seiten zu offenbaren.

Kolumne: «Aus meiner Bubble»

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