Joël Gernet: «Ja, es ist kulturelle Aneignung, aber zum Glück ist es das»
Die Band Brandhärd hat kürzlich ihr achtes Album veröffentlicht. Doch hat Hip-Hop in der Schweiz eine Berechtigung? Ja, findet Rapper Fetch – und erklärt, warum er sich nicht zu alt fühlt für diese Jugendkultur.
«Feschted mit uns als gäbs kei Zuekunft; mir sind fescht überzügt, dass es guet kunnt» – so lautet der Refrain von «Noochbrand», dem bekanntesten Titel von Brandhärd. Glauben Sie immer noch, dass es gut kommt, Joël Gernet?
Manchmal sind wir zynisch und rappen bei den Bandproben: «Feschted mit uns als gäbs e Zuekunft.» Aber im Grundsatz bin ich schon zuversichtlich. Natürlich hat sich unsere Weltsicht verändert. Wir waren naive Schüler, die die Welt erobern und verbessern wollten. Jetzt sind wir erwachsen und im Leben angekommen.
Etwas resigniert?
Manchmal.
Warum?
Wegen der Realität, des Alltags. Ich bin stark News-interessiert und verfolge alles mit. Darum weiss ich gut über die Weltlage Bescheid – und kenne die Ohnmacht.
Den Weltschmerz?
Ja, schon ein bisschen. Das meiste können wir nicht ändern. Aber mit der Musik kann ich immerhin Menschen etwas Gutes tun, ihnen ein gutes Gefühl ermöglichen. Aber auch mir selbst: Texte zu schreiben, bereitet mir Freude. Es spendet Trost oder Mut, und ich kann Dampf ablassen.
Sie sagten in einem Interview, im Titel «180» vom neuen Album «Kerosin» hätten Sie «alles rausgerotzt». Was hat sich denn so angestaut?
Ich habe das Gefühl, die Vierziger sind einfach eine recht mühsame Lebensphase. Ich finde das jedenfalls nicht so cool. Es kommen so einige Dinge zusammen. Ich möchte so viel tun und kann nicht Nein sagen. Das führt zu einer Gemengelage, in der einfach alles too much ist und ich überfordert bin. Ich weiss nicht, wo anfangen, wo durchgehen und wo aufhören. In diesem Zustand befand ich mich, als ich den Song verfasst habe. Ich schrieb den ganzen Frust von der Seele. Dies war der erste Text des neuen Albums. Danach war viel Druck schon einmal weg, und die weiteren Songs folgten.
Schreiben Sie sofort nieder, wenn Ihnen gerade etwas auffällt, oder wie gehen Sie vor?
Es ist bei mir eher so, dass sich etwas anstaut. Ich schreibe meistens nicht im Moment. Ich mache mir Notizen und trage das dann später zusammen wie ein Mosaik. Dann versuche ich, diesen Vibe zu konservieren.
Haben Sie andere Ventile neben der Musik?
Ja, die Natur, mit dem Hund spazieren gehen – in die Einsamkeit, den Blick in den Wald. Und manchmal Sport; ich spiele Tennis.
«Es ist tragisch, dass gerade solche Künstler einen Shitstorm abkriegen.»
Joël GernetSRF verwendet seit einem umstrittenen Live-Rap-Event im Jahr 2022 Triggerwarnungen wegen expliziter Sprache im Rap. Was halten Sie davon?
Das ist halt zeitgemäss. Es ist aktuell die Grundstimmung: Man ist vorsichtig und umsichtig. Mich stört die Warnung null, ich finde es eher lustig. Wie damals, als die Stickers auf die Alben kamen: «Parental Advisory – Explicit Content». Das wurde eigentlich zum Gütesiegel für Rapper. Ein Ritterschlag. Gerade im Online-Geschehen geht es sehr schnell, und man hat einen Shitstorm am Hals. Ich verstehe, dass SRF vorgängig einen Disclaimer macht, wenn Rap live übertragen wird und man nicht weiss, was da alles gesagt wird.
Aber Rap war früher viel härter. Wir erinnern uns etwa an den Basler Griot – seine Sprache war viel aggressiver.
Aber dann gab es diese Viralität von Online-Inhalten noch nicht. Oder die unmittelbare Verurteilung in den Medien, wie kürzlich etwa bei Chefket in Deutschland, weil er ein kritisches Shirt zum Israel-Gaza-Konflikt trug. Er ist seit Jahr und Tag ein umsichtiger, differenzierter, sehr menschlicher Rapper, wurde aber in den Medien zerfetzt. Es ist tragisch, dass gerade solche Künstler einen Shitstorm abkriegen.
Woher rührt das? Versteht man Rap nicht?
Rap ist eine sehr drastische Sprache, sehr unverblümt, sehr zugespitzt, extra provokativ. Wenn man ohne kulturellen Kontext und Hintergrundwissen einzelne Zeilen isoliert betrachtet, dann kann man jedem Rapper dieser Welt einen Shitstorm anhängen. Die Energie und die Sprengkraft von Rap liegt ja aber gerade in diesen Punch Lines. Es ist seit Jahrzehnten dasselbe Spiel: Medien und Leute, die sich nicht auskennen, picken sich ein Textelement heraus und machen aus einer Mücke einen Elefanten. Natürlich gibt es auch berechtigte Einwände, keine Frage. Aber im Grossen und Ganzen gibt es viele Stürme im Wasserglas. Auch bei uns würde man heikle Passagen finden, wenn man will …
«In jungen Jahren haben wir auch viel Scheissdreck gerappt.»
Joël GernetBrandhärd läuft wenig Gefahr, zensiert zu werden – viel zu Schwiegereltern-tauglich.
… neuerdings schon.
Jetzt, da Sie tatsächlich Schwiegereltern haben?
Genau (lacht). Aber in jungen Jahren haben wir auch viel Scheissdreck gerappt.
Zum Beispiel?
Halt einfach Teenager-Texte – wir waren single, und es drehte sich alles um Frauen und Sex.
Wir möchten ein Beispiel hören.
Es fällt mir gerade keine konkrete Zeile ein, aber es gab sie. Wir waren schon auch jung und dumm.
Joël Gernet, besser bekannt als Fetch, ist Rapper und Songwriter der Basler Rap-Crew Brandhärd. Seit der Gründung 1997 prägt er gemeinsam mit DJ Johny Holiday (Tobias Gees) und Fierce (Stefan Fierz) die Schweizer Hip-Hop-Szene. Mit dem Album «Noochbrand» feierte die Band 2003 ihren Durchbruch und etablierte sich als eine der erfolgreichsten Rap-Gruppen der Region. Ende Oktober ist das achte Album herausgekommen: «Kerosin».
Ausserdem produziert der frühere BaZ- und VINUM-Journalist mit der Crew TripleNine «Maischtertracks» für den FC Basel, bloggt und podcastet über Wein auf Bonvinvant.com und ist Mitorganisator der Schweizer Weintage in der Markthalle Basel. Daneben schreibt er auch für das FCB-Briefing-Team des Portals Bajour. Hauptberuflich leitet er den Geschäftsbereich Kommunikation der Gemeinde Aesch.
Der 45-Jährige lebt mit seiner Frau und den zwei Kindern im Teenager-Alter in Arlesheim.
Ist es überhaupt richtig, das Ventil Rap zu zensieren?
Vielleicht ist die Triggerwarnung gar keine so schlechte Lösung, weil sie dafür sorgt, dass man den Rap trotzdem veröffentlichen kann.
Ist Rap diskriminierend?
Nein. Schon gar nicht in der Schweiz. Klar gibt es diskriminierende Zeilen, aber oft sind diese im Kontext betrachtet halb so wild und nicht so gemeint. Und vielleicht sind gewisse Rapper sprachlich etwas ungelenk. Die Diskussion darüber ist schon gut – viele Rapper schreiben heute anders als früher. Mehr Feingefühl, weniger frauenfeindlich und homophob.
Zum Beispiel?
Kool Savas nutzte früher «schwul» als Schimpfwort, heute entschuldigt er sich dafür.
Hip-Hop ist Schwarze Kultur aus armen amerikanischen Vierteln. Sind die Voraussetzungen in der reichen, behüteten Schweiz dafür überhaupt gegeben, oder ist das kulturelle Aneignung?
Lustig, das lag mir vorhin auf der Zunge. Eigentlich wäre die Diskussion um die Aneignung viel berechtigter als jene über Schimpfwörter. Aber das würde in eine falsche Richtung führen. Es würde suggeriert, dass Kulturkreise abgeschlossen sind. In der Kultur ist zum Glück alles in Bewegung und beeinflusst sich gegenseitig. Wenn man die Kultur würdigt, sich darin bewegt, den Background respektiert, dann ist es keine Aneignung, sondern Befruchtung. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Umstände in der Schweiz noch anders waren, als der Hip-Hop hier ankam. In Basel war man mit Gewalt, Drogen und Aids konfrontiert; die Rapmusik entstand aus einem gesellschaftlichen Brennpunkt heraus. Für mich wird es dann problematisch, wenn man etwas Kulturelles übernimmt und aggressiv vermarktet, obwohl man diese Weltsicht nicht teilt. Einfach des Profits oder des Kommerz’ wegen.
Wie zum Beispiel Bligg?
Nein, er hat sich ja auch ernsthaft damit auseinandergesetzt. Sobald ein Dialog entsteht, Brücken zwischen Kulturen und Weltsichten geschlagen werden, ist das etwas mega Tolles.
Wir meinen eher, dass Bligg sich die Schweizer Kultur angeeignet hat in seiner Rap-Musik mit einer Kuh auf dem Cover und der Ländler-Hintergrundmusik.
Aber er hat das ja auch seriös gemacht, ich würde ihm das nicht unterstellen. Ich verstehe, was Sie meinen, und der Vorwurf lässt sich sehr schnell erheben. Tatsächlich macht man sich in der Musik etwas zu eigen. Aber das ist ja gerade das Prinzip von Hip-Hop: Du nimmst Bestehendes und machst etwas Eigenes daraus. Die Hip-Hop-Kultur ist aus Elementen von Jazz, Gospel, Blues, Black History, Sklaverei und so weiter entstanden. Man könnte sagen: Ja, es ist kulturelle Aneignung, aber zum Glück ist es das. Denn das ist in den meisten Fällen etwas Gutes. Aber ich verstehe die Diskussion sehr gut, und im Zweifelsfall gehört Hip-Hop jenen Leuten, die das Sprachrohr benötigen und sonst kein Mittel haben, sich Gehör zu verschaffen.
«Ich kann mich teilweise besser mit jugendlichen Talahons im Kleinbasel identifizieren als mit Leuten, die in Arlesheim neben mir an der Kasse stehen.»
Joël GernetWas ist Ihr Bezug zum ursprünglichen Hip-Hop?
Ich habe mich stark mit Black History auseinandergesetzt und mich mit den Hintergründen in sozial schlechter gestellten Schichten befasst. Das prägt mich bis heute: Ich kann mich teilweise besser mit jugendlichen Talahons im Kleinbasel identifizieren als mit Leuten, die in Arlesheim neben mir an der Kasse des Grossverteilers stehen – obwohl meine Lebensrealität dieser viel näher ist. Dank Hip-Hop habe ich ein gewisses Grundverständnis und Einfühlungsvermögen für andere Lebenssituationen. Viele Leute können das nicht, und das sind oft jene, die sich so extrem über einzelne Punch Lines aufregen. Weil sie sie nicht verstehen.
Damit haben wir die Brücke zwischen Trigger-Warnung und kultureller Aneignung geschlagen: Wenn man nicht tief genug in die Kultur eintaucht, fühlt man sich rasch angegriffen.
Absolut. Gleichzeitig wollen Rapper ja auch, dass ein Aufschrei entsteht. Man will ja verdutzte Gesichter in der Bourgeoisie sehen, diesen Leuten sinnbildlich in die Eier kicken. Man will von ihnen gar nicht gefeiert werden, sonst hätte man das Ziel verfehlt.
Bei Ihrer Plattentaufe in der Kaserne waren aber viele Leute aus der Elite vertreten, etwa der Basler Regierungsrat Kaspar Sutter. Und Brandhärd feierte die Wahl von Bundesrat Beat Jans mit einem Auftritt beim Wahlfest. Ist das noch Hip-Hop?
Ja, aus voller Überzeugung. Ich konnte Beat Jans mein Baseball-Cap aufsetzen für ein Gruppenbild – grandios. Und Jespi, also Kaspar Sutter … Wir waren damals seine Cevi-Buben in Allschwil. Wir kennen ihn schon so lange. Das ist wirklich eine ehrliche, authentische Beziehung und Freundschaft, seit eh und je. Ich interpretiere das nicht so, dass wir Teil des Establishments wären und jetzt mit den Machthabern abhängen. Sondern dass wir einfach älter werden. Wie wir selbst sind auch die Menschen um uns herum älter geworden – und haben nun eben zum Teil einflussreiche Stellen. Das fühlt sich für mich normal an. Gerade bei Beat Jans und Kaspar Sutter können wir voll dahinterstehen. Bei Beat Jans ging es uns hauptsächlich darum, dass die Region Basel nach so langer Zeit wieder einen Bundesrat aus Basel bekommt.
Gibt es Politiker, mit denen Sie sich nicht zeigen würden?
Also bei einer Meisterfeier auf dem Barfi-Balkon würde ich nicht neben Stephanie Eymann stehen wollen.
Aber das sagen Sie vor allem als FCB-Fan?
Ja, genau. Ich kenne sie nicht, und vielleicht ist sie sonst ja eine Glatte.
«Rap ist wie ein Superhelden-Mantel, den man sich überstreifen kann.»
Joël GernetSie sind Kommunikationsleiter der Gemeinde Aesch – ein rappender Beamter. Ihr Backup-MC ist Anwalt. Ist die Zeit irgendwann vorbei für die Jugendkultur Hip-Hop?
Jay-Z ist Milliardär und lebt längst nicht mehr im Ghetto … Solange unsere Musik authentisch ist und wir sie fühlen, haben wir eine Daseinsberechtigung. Es ist eine Ausdrucksform. Das Älterwerden gehört zum Leben und geht auch aus unserer Musik hervor. Unser Leben spiegelt sich hier wider.
Was war ursprünglich der Ansporn für Brandhärd?
Generell der Drang, uns ausdrücken zu wollen. Wir haben viel ausprobiert. Ich versuchte mich zu Beginn – wenig erfolgreich – als Sprayer und Break Dancer. Wir waren jedenfalls fasziniert von der Hip-Hop-Kultur. In der Jugend sucht man eine Leidenschaft und Hobbys, Möglichkeiten zum Rebellieren. Ich bin froh, dass wir uns damals für ein so vielfältiges Hobby entschieden haben, dem wir heute noch nachgehen können. Mit Mitte 40 könnte ich wohl jetzt kaum mehr skaten, und eine Fussballkarriere wäre schon länger zu Ende. Aber Musik ist zeitlos und kann altern und sich verändern.
Wie hat Hip-Hop Ihnen in der Jugend konkret geholfen?
Ich war eher introvertiert und bin nach wie vor keine Rampensau. Aber ich konnte mir damals im stillen Kämmerlein eine Identität erschaffen, mich so präsentieren, wie ich mich gerne sehen würde. Rap ist wie ein Superhelden-Mantel, den man sich überstreifen kann. Gleichzeitig zeige ich mich von meiner verletzlichsten Seite. Dinge wie in «180» würde ich in einem normalen Gespräch mit niemandem thematisieren. Aber in der Musik sage ich es. Du bist am verletzlichsten und gleichzeitig am stärksten.
2027 bedeutet 30 Jahre Brandhärd. Gibt es ein Fest?
Ich gehe stark davon aus. Am liebsten würde ich das Jubiläum mit einem neuen, guten, authentischen Album begehen. Wir sind schon genug auf unserer langen Bandgeschichte herumgeritten, aber das Älterwerden an sich ist ja noch keine Leistung.
Es heisst, Sie müssten das Messer am Hals spüren, um neue Musik abzuliefern. Wenn Sie jetzt 2027 ein Konzert in der Joggeli-Halle ankündigen würden mit neuer Musik – dann wäre der nötige Druck vielleicht da?
Das tönt nach einer Wette (lacht). Solche Gedanken machen wir uns schon. Wir brauchen definitiv den Druck, sonst werden wir wieder vom Alltag überrannt. Und vielleicht auch einen Manager.
Das haben Sie nicht?
Wir haben schon punktuell Hilfe, aber nicht regelmässig.
Hat man sich nach 28 Jahren nicht langsam satt?
Umso länger die Phase nach einem Album dauert, desto mehr schätzen wir wieder, was wir an der Musik haben. Wenn wir unterwegs sind, dann ist es wie immer. Die Plattentaufe in der Kaserne war ein Klassentreffen. Das gibt mir so viel. Stand jetzt machen wir uns keine Gedanken übers Aufhören.
«Ab und zu frage ich mich auch, ob wir es nicht hätten versuchen sollen.»
Joël GernetBrandhärd, Tafs, Griot, EKR, Black Tiger – gibt es noch eine regionale Hip-Hop-Szene?
Die gibt es auf jeden Fall noch. Natürlich hat sich vieles verändert. Früher musste man irgendwohin, um Gleichgesinnte zu treffen. Es gab viel mehr Konzerte, im Sommercasino, in der Kaserne, im Hirscheneck, in der Kuppel, im Modus Liestal … Die Plattentaufe von Tafs’ «8i Bahnhof» fand im Jugendzentrum Liestal statt. Solche Jugis gab es überall. Das ist etwas abhandengekommen. Das Ausgeh-Verhalten hat sich verändert, es gibt viel weniger Konzerte und Locations – inzwischen finden fast nur noch kommerzielle Stadionkonzerte statt. Heute trifft man sich seltener und eher an kostenlosen Veranstaltungen wie dem Jugendkultur-Festival. Viel Austausch passiert über Social Media.
Und was ist die heutige Rolle von Brandhärd in dieser Szene?
Man kennt sich natürlich untereinander. Wir sehen uns nach wie vor als Teil der Szene, gehören aber nicht mehr zu den aktivsten Bands. Wir sind eher die Elder Statesmen.
Von der Musik zu leben, war für Sie nie ein Thema?
Es wäre gelogen, zu sagen, ich hätte mich damit nicht auseinandergesetzt. Für uns war die Musik eine Zeit lang ein Studentenjob, sodass wir daneben nicht viel arbeiten mussten. Aber vielleicht waren wir auch einfach zu schweizerisch und zu ängstlich, um alles auf eine Karte zu setzen. Ab und zu frage ich mich auch, ob wir es nicht hätten versuchen sollen. Aber unter dem Strich war es wohl die richtige Entscheidung. Ich habe die allergrösste Hochachtung vor denjenigen, die mit Mundart-Musik ihr Leben bestreiten können. Dafür muss man wohl auch Musik machen, mit der man viele Leute erreicht. Vielleicht ist es gut, dass wir nicht zur Professionalität verdammt sind und uns die Vogelfreiheit bewahren konnten.
Was war bisher die grösste Bühne – abgesehen vom Joggeli im Jahr 2027?
Wir haben im Joggeli schon gespielt, aber das war eigentlich nicht unsere Bühne. Wir waren die Flitzer. Aber in den Nullerjahren haben uns einige Openairs gebucht, etwa Frauenfeld, Hoch Ybrig oder Val Lumnezia. Das waren wohl die grössten Bühnen, zusammen mit dem Barfüsserplatz. Die Zuschauerzahl war vielleicht im tieferen fünfstelligen Bereich – das ist mehr, als wir uns je erträumt hatten. Und manchmal sind Konzerte mit 200 Menschen auf engem Raum viel geiler als vor 20’000 mit viel Sponsoren und Drumherum.
Ihre zweite Leidenschaft ist Wein. Sie sagten einmal in einem Interview, Sie seien «lieber ein junger Weinkenner als ein alter Rapper». Sie rappen aber immer noch.
Jetzt bin ich beides: ein alter Rapper und ein alter Weinkenner (lacht). Beim Wein war mein Antrieb ähnlich wie beim Rap: Ich schaute damals zur Sommercasino-Bühne hinauf und wollte auch einmal dort spielen. Wein hat mich immer interessiert; ich wollte die Kultur dahinter verstehen und als verhältnismässig junger Kenner am Tisch der Grossen mitreden können. Mein Interesse reicht bis ins Handwerk, in die Landwirtschaft. Ich habe auch Rebschnitt-Kurse besucht, eigene Trauben angepflanzt. Ähnlich wie im Hip-Hop geht es mir um die Gesamtkultur. Vom Finger dreckig machen bis zum absoluten Luxusprodukt und alles, was dazwischen liegt. Diese vielen Facetten mit Geschichte, Geografie, Natur, Nachhaltigkeit – das ist die Faszination für mich.
OnlineReports veröffentlicht immer am ersten Samstag des Monats ein grosses Interview. Hier kommen Persönlichkeiten aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport zu Wort.
Hier finden Sie die bisher erschienenen Beiträge.