Der Rhein – Dienstleister der Chemieindustrie

Heute wird oft über Deponien debattiert, weil darin die Pharmariesen ihren Abfall begruben. Doch schon vorher wurden giftige Stoffe entsorgt. Wie alles begann.

Gross-Schleuse, Kraftwerk Kembs, Rhein
Der Rhein nahm die anfallenden Abfälle auf und mit. Im Bild die Gross-Schleuse Kembs. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Hans Berger)

Rauchende Schornsteine von monströser Gestalt. Der Rhein, der rot getüncht in Richtung Nordsee fliesst. In Gruben vor sich hin rostende Fässer, aus denen giftige Substanzen auslaufen. Die unschönen Seiten einer Industrie, die uns Wohlstand brachte.

Heute wird oft über Deponien debattiert, in denen die chemische Industrie ihre Abfälle begrub. Zum Beispiel in Bonfol, Muttenz oder im elsässischen Neuwiller bei Allschwil. Doch wurden bereits giftige Abfälle entsorgt, noch bevor die erste Deponie sie schluckte.

Im 19. Jahrhundert kommen die Farbenhersteller, die Vorgänger der chemischen Industrie, an den Rhein, weil hier bereits eine funktionierende Textil- und Seidenindustrie ansässig ist. Eine Branche, die Farbe braucht. Sie kommen aber auch wegen des Rheins. Als Vorfluter leistet er seinen Dienst – als Strom, der die anfallenden Abfälle auf- und mitnimmt. Und das noch äusserst preiswert. Gratis.

Noch 1997 schreibt der inzwischen verstorbene Christoph Tamm, Professor für organische Chemie an der Uni Basel und Mitbegründer des Biozentrums, im Sachbuch «Chemie in der Schweiz», als wäre es das Normalste dieser Welt: «Den Standort Basel begünstigte auch der Rhein, der damals die industriellen Abwässer mühelos aufnehmen konnte.»

Die Fische werden nicht nur weniger, sondern auch weniger geniessbar.

Das erste Fischsterben datiert von 1871, wie Dokumente im Basler Staatsarchiv zeigen. Verantwortlich dafür ist etwa die Anilinfarben-Produktion der Seidenfärberei von Alexander Clavel. Genauso die 250'000 Liter Grundwasser, die die Gesellschaft für Chemische Industrie durch ihre Produktionsprozesse pumpt und schliesslich in den Rhein leitet.

1903 beklagen sich Fischer über die Auswirkungen auf ihr Geschäft. Die Fische werden nicht nur weniger, sondern auch weniger geniessbar. Allerdings bemängeln die Fischer nicht, dass die Industrie ihre Abfälle dem Rhein übergibt. Sie forderten lediglich, dass Einleitrohre sie in die Mitte des Rheins führen, damit ihre Fischzucht an der Wiesenmündung nicht tangiert wird. Schliesslich arrangieren sich Fischer und Industrielle: Die Industrie übernimmt einen grossen Teil der Pachtzinsen der Fischer, und das zuständige Baudepartement unter der Leitung des Parteilosen Heinrich Reese schaut weg.

«Chemiestadt» Basel

Doch nicht nur die Industrie nutzt den Rhein als willkommenen Entsorger. Auch die Stadt Basel wirft einen Teil ihres Haus- und Strassenkehrichts von einem Steg an der Grenzacherstrasse in die Fluten. Aus Rücksicht auf die Rheinschwimmerinnen und -schwimmer geschieht dies jedoch nur im Winter.

Der Basler Historiker Christian Simon hält in seinen Publikationen fest, der Begriff «Chemiestadt» Basel sei durchaus wörtlich zu verstehen gewesen: «Die Fabriken produzierten innerhalb der Stadt, sie nutzten intensiv die natürlichen Ressourcen des städtischen Raums wie die Luft und das Brunnen- und Rheinwasser, sie nutzten den Stadtboden, auf dem Produkte gestapelt, Abfälle auf Halden geworfen und in Gruben geschüttet wurden.»

1916 zeigt eine weitere Episode, wie sehr der Rhein als Vorfluter geschätzt wurde. Die Basler Regierung genehmigt der Ciba den Bau und Betrieb der sogenannten Girfähre mit Landeplatz an der Uferstrasse am Klybeckquai. Vorsteher des zuständigen Baudepartements ist zu diesem Zeitpunkt Armin Stöckli von den Radikalen. Der Boden der Girfähre kann aufgeklappt werden. Sie bringt sogenannten Leichtschlamm – nichts anderes als Chemiemüll – in den Rhein hinaus.

Nach dem Ersten Weltkrieg soll ausgerechnet der Versailler Friedensvertrag von 1918 Auswirkungen auf die Nutzung des Rheins als Müllhalde haben. Die Franzosen erhalten darin das Recht, die Wasserkraft des Rheins zu nutzen. Unter anderem bauen sie ab 1928 in Kembs ein Stauwehr. Dadurch steigt ab 1932 der Pegel des Rheins und mit ihm der Grundwasserspiegel im Klybeck so stark, dass er mit Pumpen niedrig gehalten werden muss. Im Ciba-Werk Klybeck wird zwischen 1947 und 1949 verschmutztes Wasser aus demselben Grund in Richtung Fabrikbrunnen geleitet. Auch muss die Kanalisation der Stadt umgebaut werden, weil der Rhein sonst Abwasser in die Keller drücken würde. Immerhin: Die Franzosen kommen für die Kosten auf.

Es stinkt!

Weil das Wasser in Kembs gestaut wird, fliesst der Rhein langsamer. Auf dem Stadtgebiet kommen so die Gerüche und Färbungen von eingeleiteten Fäkalien und Chemieabfällen viel stärker zum Tragen. Das vermiest manchem Spaziergänger an der Rheinpromenade die Laune. Auch die Franzosen haben keine Freunde an den Rheinbeigaben, die sich im Staubecken in Kembs sammeln. Fäulnisgeruch macht sich breit, Gasblasen steigen auf.

Das Wasser ist während vieler Jahre das wichtigste, weil kostengünstigste Element, um Chemiemüll loszuwerden. Ab 1961 wird sogar vor der Rheinmündung in die Nordsee und im Golfstrom Basler Chemiemüll versenkt. Die Niederlande und Belgien erlauben das unter der Voraussetzung, dass der Müll entweder in Fässern versenkt wird oder schwerer ist als Wasser. Zudem wird der Chemiemüll vor den Küsten Frankreichs, Spaniens und Englands dem Ozean übergeben.

Nach 1945 führt Druck der Basler Bevölkerung und Frankreichs dazu, dass der Abfall weg vom Wasser hin zum Boden gelangt. Fester Chemiemüll darf nun nicht mehr dem Rhein übergeben werden. Nun ist die Deponie im Trend.

Ausgebeutete Kiesgruben, Steinbrüche, Hohlwege und Hangaufschüttungen werden mit Chemiemüll gefüllt. Solange der Abfall versteckt bleibt, kommt es zu keinen Konflikten mit der Bevölkerung. Den Säurewolken im St. Johann, Klybeck, Kleinhüningen und Rosental begegnet die Industrie um 1920 mit höheren Kaminen. Damit wird der Ausstoss ausgedünnt und besser verteilt. Aus der Nase, aus dem Sinn. So der Plan.

Daniel Aenishänslin erzählt in einer dreiteiligen Serie die Geschichte der Altlasten der Basler Chemie. Die Teile 2 und 3 folgen in den kommenden Tagen.

Hier finden Sie weitere Beiträge zum Thema.

Geschichte der Altlasten, Teil 1

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