ESC in Basel: widersprüchlich und scheinheilig unpolitisch

Während sich Vertreterinnen und Vertreter der Basler Regierung nach dem für die Stadt erfolgreichen ESC gegenseitig auf die Schultern klopfen, übt der Kolumnist scharfe Kritik.

Max Kaufmann, Kolumnist
(Bild: Céline Stöckli)

Ein Videoclip, der durch Instagram und TikTok gespült wird, als der Eurovision Song Contest die Stadt Basel in Beschlag nimmt, ist sinnbildlich für diesen ESC und seine Widersprüchlichkeiten: Stefan Raab, gealterter, deutscher Entertainer, steht in einer Basler Läderach-Filiale und schreit den deutschen ESC-Beitrag durch ein Megafon.

Was als Werbeaktion für die deutschen Startenden gedacht war, sagt einiges über den ESC aus: Ein weisser alter cis Mann, der sich krampfhaft an Aufmerksamkeit klammert und dafür auch mit einem Song Gratis-Wahlkampf für den rechtskonservativen Friedrich Merz betrieb, macht Werbung für eine Veranstaltung, die ein in grossen Teilen queeres Publikum anzieht. Und das – ob bewusst oder nicht – in einem Geschäft, dessen ehemaliger Patron als evangelikaler Fundamentalist bekannt ist, dem seit Jahren Queer-Feindlichkeit vorgeworfen wird und der eine Schule mitaufbaute, in der Prügelstrafen die Norm waren.

Das Video ist skurril, vielleicht auch zufällig. Es passt aber zu einer Veranstaltung, die politisch wird, gerade weil sie unermüdlich betont, wie unpolitisch sie sei. Die politische Haltung des ESC besteht darin, dass alles unterbunden wird, was irgendwie anecken könnte oder kritische Positionen bezieht.

Übrig bleibt nur, was genehm ist und nicht aneckt: feucht-fröhlicher Patriotismus, viel mehr nicht.

Erinnern Sie sich an die Bilder von Nemo beim ESC-Sieg für die Schweiz im Jahr 2024? In die gelb-weiss-violett-schwarze Nonbinary-Flagge der nicht-binären Menschen gehüllt, brachte Nemo längst überfällige Themen in die Schweizer Öffentlichkeit. Nur schon weil Medien sich überlegen mussten, wie sie über eine Person schreiben, die weder weibliche noch männliche Pronomen verwendet. Wir sind aber nicht viel weiter: Nach einer Performance im Rahmen des diesjährigen ESC-Finals erfährt Nemo gerade eine queerfeindliche Hasskampagne in den sozialen Medien.

Pride-Flaggen wie jene, die Nemo 2024 trug, waren dieses Jahr auf der Bühne verboten, um politische Statements zu verhindern. Die eigene Nationalflagge war den auftretenden Acts hingegen erlaubt. Übrig bleibt nur, was genehm ist und nicht aneckt: feucht-fröhlicher Patriotismus, viel mehr nicht.

Nicht genehme Stimmen wurden während des ESC auch ausserhalb der Arena unterbunden, um den unpolitischen Schein der Veranstaltung zu wahren. Die pro-palästinensische Demonstration am Finaltag, die auf das Leid der palästinensischen Bevölkerung aufmerksam machte und die Teilnahme Israels am ESC trotz der Kriegsverbrechen der israelischen Armee kritisierte, wurde gewaltsam gestoppt.

Es war zu erwarten, dass die Polizei die Demonstrierenden nicht zur Messe gehen lassen würde, wo viele ESC-Fans das Finale schauten. Mehrere Hundert Personen die halbe Nacht hindurch auf der Strasse einzukesseln ohne Zugang zu Wasser, Nahrung oder Toiletten (baba news berichtete), ist jedoch unverhältnismässig und zeigt einmal mehr die krass harte Linie der Basler Polizei.

Hauptsache, das harmonische Bild der feiernden ESC-Fans bleibt ungestört und alle mulmigen Hintergedanken bleiben weit weg hinter den Polizeiketten. Angesichts dieser Widersprüche finde ich es nur scheinheilig, wie Basel-Stadt und seine Regierung sich mit der ESC-Ausrichtung als angeblich unpolitische Party für alle schmücken.

Apropos Widersprüchlichkeiten und sich mit Regenbogenflaggen schmücken: Ein weiteres Schmuckstück Basels, die Art Basel, an der der Kanton Basel-Stadt als einer der Hauptaktionäre der MCH Group einen wichtigen Anteil hat, lanciert gerade einen Ableger in Katar. Der Golfstaat ist für seine Menschenrechtsverletzungen und die Verfolgung queerer Personen bekannt.

Ich wage vorauszusagen: Auch da wird man sich hinter der Kunst verstecken. Die ist ja schliesslich auch nicht politisch.

Weiterführende Links:

Kolumne: «Aus meiner Bubble»

Kommentare

Peter Waldner
26. Mai 2025 um 08:43

Show – nicht Politik!

Wo sind denn die Grenzen von «politisch»? Bei den persönlichen Ansichten und Meinungen von oder über nonbinär, queer, pride? Bei einem «alten, weissen Mann», der im Schokoladeladen auffallen will, und der erst noch zufrieden ist mit seinem Geschlecht, das ihm bei der Geburt anhand seiner Geschlechtsmerkmale zugeordnet worden war?

Also echt – das ist nunmal den meisten Menschen (auch mir) vollkommen egal, weshalb es bei der Regelung des Gemeinwesens (per Definition «Politik») halt nur auf sehr wenig Interesse stösst. Mag ja sein, dass da einige eine ganz andere Meinung vertreten, aber das ist bei der Politik doch normal; schliesslich ärgern mich auch so einige Regeln und Gesetze, die ich für unnötig halte.

Wenn sich da einige an einem internationalen Musikwettbewerb als queer präsentieren, ist das Show – nicht Politik! Ok, erlaubt, Geschmackssache.

Ganz anders die pro-palästinensischen Demonstrationen. Die hätten einer Bewilligung bedurft, die an so einem Anlass natürlich nicht erteilt worden wäre. Trotzdem hat die Exekutive weitgehend grosszügig darüber hinweggesehen und sogar zugelassen, dass eine an der Politik ihres Landes und dessen Regierung unschuldige Künstlerin belästigt und beschimpft wurde.

Die Demonstrationen waren (aus meiner Sicht) durchaus lästig, ärgerlich, störend. Wurden aber – solange relativ «friedlich» – richtigerweise nicht unterbunden. Trotz fehlender Bewilligung. Dass die Polizei dann am Finaltag nicht zuliess, dass die (aggressive) Rotte das freudige Fest kaputt machte, war auch nicht Politik, sondern nur ihre Aufgabe. Wer rücksichtsloser war – die sogenannten Demonstranten oder die Polizei – ist Ansichtssache. Wir leben ja – politisch gesehen – in einer Demokratie; und ich wette, die grosse, absolute Mehrheit des Basler Demos fand das Vorgehen der Polizei absolut richtig.

Ruedi Basler
Sozial-Pädagoge

Schizophren

Sehr gut formuliert. Es zeigt die schizophrene und komplett unkritische Haltung eines enorm grossen Publikums auf. Hauptsache Party, alles andere ist nebensächlich. Grausam, wie sich ein Teil des Volkes verführen lässt.

Ueli Keller
Bildungs- und Lebensraumkünstler

Politik ist, wenn ...

In der Demokratie, mit der wir leben, sagt die Mehrheit, was recht ist ... und dies auch dann, wenn es nicht das Richtige ist.

Marc Stoller
26. Mai 2025 um 11:39

Auf einem Auge blind

Max Kaufmann schreibt von Widersprüchen, beschwert sich über die Reaktion der Polizei auf eine unbewilligte Demonstration – an welcher notabene antisemitische Parolen skandiert werden – und scheint aber nichts gehört zu haben von einer Standaktion gegen Antisemitismus, welche nicht bewilligt wurde … «Honni soit qui mal y pense!»