Doch kein Abschied von Frühfranzösisch
Eine zweite Landessprache als einzige Fremdsprache in den Primarschulen: Dieser Kompromiss dürfte sich auf Bundesebene durchsetzen.
Nicht der Französisch-, sondern der Englischunterricht in den Primarschulen steht auf der Kippe: Sowohl im Nationalrat als auch im Ständerat zeichnet sich nämlich ab, dass der vom Bund ausgelöste Sprachenstreit zwischen den Kantonen mit einer Anpassung des Sprachengesetzes in Bundesbern zugunsten einer zweiten Landessprache beigelegt wird. Das wäre ein Sieg für Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, die sich vehement gegen die Beschlüsse in den Kantonen Zürich, St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden wehrt, Frühfranzösisch aus der Primarschule zu verbannen.
Vor allem die Romandie würde sich damit in Bundesbern durchsetzen. Hier beginnen die Kantone heute ausnahmslos mit Frühdeutsch in der Primarschule. Der Bundesrat befürwortet eine Motion von SP-Ständerat Baptiste Hurni aus Neuenburg, der ihn beauftragen möchte, in allen Kantonen eine zweite Landessprache in der Primarschule gesetzlich zu verankern. Im Ständerat ist der Vorstoss mehrheitsfähig. Im Nationalrat dürfte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) eine gleichlautende Parlamentarische Initiative des Neuenburger FDP-Nationalrats Damien Cottier Anfang 2026 ebenfalls zur Annahme empfehlen.
Die Baselbieter Nationalrätin Florence Brenzikofer vertritt die Grünen in der WBK. Sie begrüsst dieses Vorgehen und zeigt Verständnis für die Romandie. In derselben Kommission sitzt auch Katja Christ. Im Gegensatz zu Brenzikofer ist die Basler Grünliberale aber gar nicht erfreut. «Das wäre ein rein emotionaler und kein wissenschaftlich fundierter Entscheid», sagt sie.
In Französisch ungenügend
Die ungenügenden Leistungen in den Primarschulen mehrerer Kantone wurden mit entsprechenden Tests untermauert. Dies hat den Sprachenstreit dieses Jahr neu entfacht. Heute regelt das Harmos-Konkordat der Kantone den Fremdsprachenunterricht. Die 2009 in Kraft getretene Regelung verlangt gleichwertige Kompetenzniveaus nach neun Schuljahren (Kindergarten nicht mitgezählt). Dabei müssen zwingend eine erste Fremdsprache ab der dritten und eine zweite ab der fünften Klasse unterrichtet werden – mit Ausnahmeregelungen für die Kantone Tessin und Graubünden.
Die Kantone in der Deutschschweiz und der Romandie müssen wählen, ob sie mit Englisch oder mit einer zusätzlichen Landessprache beginnen wollen. Die Regelung war schon damals mit dem nötigen Druck aus Bundesbern getroffen worden – mit dem Resultat, dass die Westschweizer mit Deutsch beginnen und die meisten Deutschschweizer Kantone mit Englisch. Mit Französisch starten die zweisprachigen Kantone sowie Solothurn, Basel-Stadt und Baselland. Das ist eine kuriose Situation mit Blick auf den entstandenen Sprachengraben zwischen Augst im Baselbiet und dem aargauischen Kaiseraugst.
Die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) hat inzwischen erkannt, dass die Kantone handeln müssen: So wie heute geht es nicht weiter. Nachdem drei Kantone die Abschaffung von Frühfranzösisch eingeleitet haben und in weiteren Kantonen entsprechende politische Vorstösse zu erwarten sind, hat sich die EDK dazu durchgerungen, gemeinsam die Anpassung des entsprechenden Artikels im Harmos-Konkordat anzugehen – «gute, sprachregional abgestützte und pädagogisch fundierte Lösungen» zu entwickeln. Ob sich das grosse, auf Englisch ausgerichtete Zürich davon überzeugen lässt, bleibt allerdings offen. Politisch entscheidet das Parlament und nicht die EDK.
Zuerst Deutsch verbessern
Die Baselbieterin Florence Brenzikofer ist überzeugt, dass es beim Französischunterricht in den Primarschulen noch Verbesserungspotenzial hat. Dabei müsse auch darauf geachtet werden, dass die Grundkompetenz in Deutsch gesteigert wird – und der Englischunterricht nicht schon in der Primarschule Französisch konkurrenziert. «Persönlich finde ich, dass eine Fremdsprache in der Primarschule reicht», sagt die Sekundarlehrerin. Mit den Forderungen der Motion und der Parlamentarischen Initiative wäre es den Kantonen überlassen, Englisch erst ab der Sekundarstufe einzuführen.
Brenzikofer glaubt, die Kompetenzen in Französisch liessen sich verbessern, indem auch in anderen Fächern Französisch verwendet würde: «Es braucht mehr Immersion.» Wichtig sei, dass die Lehrkräfte von Anfang an auf korrektes Französisch setzten. Sie denkt auch, dass es mehr Schülerinnen- und Schüleraustausche zwischen den Landesteilen geben müsse. Mit einer Interpellation möchte Brenzikofer deshalb vom Bundesrat wissen, wie die Organisation von Austauschen vereinfacht und ob ein nationales Monitoring eingeführt werden könnte, um die Austausche zu erfassen. Die Antwort steht noch aus.
Ohne wissenschaftliche Grundlagen?
Die Baslerin Katja Christ hingegen kritisiert seit jeher ein Frühfremdsprachen-Konzept ohne Rahmenbedingungen, die für einen «nachhaltigen Lernerfolg» nötig wären. Sie stört sich daran, dass den Kantonen der Weg vorgegeben wird und nicht das Ziel. Entscheidend sei doch, welche Sprachkenntnisse die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Schulzeit hätten, und nicht ein willkürlicher Entscheid, wann sie mit dem Fremdsprachenunterricht beginnen. Die Grünliberale hat deshalb in Bern ein Postulat eingereicht, das eine Auslegeordnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum frühen Fremdsprachenlernen verlangt.
Der Bundesrat lehnt aber eine wissenschaftliche Evaluation ab und will unabhängig davon eine zweite Landessprache auf der Primarschulstufe durchsetzen. «Das ist doch ein Widerspruch, Grundlagen will der Bundesrat keine, aber trotzdem ein neues Gesetz.» Es sei nicht hilfreich, nur emotional über den nationalen Zusammenhalt zu sprechen.
Schon vor Jahren hat Christ in Basel auf die Studie von Simone Pfenninger hingewiesen. Die Linguistin wurde einst vom früheren Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann heftig bekämpft, heute ist sie eine renommierte Professorin an der Universität Zürich. Sie hatte nachgewiesen, dass Schüler, die später mit einer Fremdsprache beginnen, die früh startenden Kinder überholen. «Je früher, desto besser» sei damit wissenschaftlich widerlegt, sagt Christ. Doch der Bundesrat argumentiert anders: Die Verschiebung des Französischunterrichts auf die Oberstufe «gefährdet den Zusammenhalt zwischen den Sprachgemeinschaften».
Die Rubrik BundeshausReports beleuchtet Themen der Bundespolitik aus Nordwestschweizer Perspektive. Sie erscheint unregelmässig alle paar Wochen. Hier finden Sie die bisherigen Beiträge.
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