Trigger-Warnung: Arbeitszeitreduktion

Die Kolumnistin und SP-Grossrätin will ihren Mitarbeitenden mehr Zeit gönnen. Zeit, die man nie mehr zurückbekommt.

Freizeit mit der Familie
Mehr Raum für Familie. (Symbolbild)

Ich gebe es zu: Als Geschäftsleiterin bekomme ich beim Gedanken an eine allgemeine Arbeitszeitreduktion leichtes Herzklopfen. Ich bin verantwortlich für eine kleine Organisation mit sieben Mitarbeitenden. Jede und jeder trägt viel Verantwortung, und wir haben viel zu tun. Wenn ich mir also vorstelle, wie es wäre, wenn alle meine Mitarbeitenden zwei, vier, sechs oder acht Stunden weniger arbeiten würden, dann werde ich zunächst einmal nervös.

Was mich aber beruhigt: Die Fakten sprechen eine klare und eindeutige Sprache. Studien zeigen nämlich, dass kürzere Arbeitszeiten zu mehr Zufriedenheit, weniger Krankheitstagen und höherer Produktivität führen. In Island etwa wurde die 35-Stunden-Woche getestet – mit beeindruckenden Ergebnissen. Die Produktivität blieb gleich oder stieg sogar, während die Work-Life-Balance deutlich besser wurde. Auch in Grossbritannien zeigte ein Pilotprojekt mit über 60 Unternehmen, dass 92 Prozent der Betriebe die Viertagewoche nach dem Versuch beibehalten wollten, weil sie schlicht besser funktionierte.

Warum ist das so?

Weniger Arbeitszeit bedeutet: mehr Raum für Familie, Engagement, Bildung, für Care-Arbeit oder einfach fürs Durchatmen. Und das wiederum trägt zu einer gesünderen Gesellschaft bei. Laut einer Erhebung von Gesundheitsförderung Schweiz fühlt sich rund ein Drittel der Erwerbstätigen stark oder sehr stark arbeitsbedingt gestresst – Tendenz steigend. Burnouts und Erschöpfungsdepressionen lassen sich nicht mit noch mehr Druck lösen, sondern mit mehr Erholung. Und anstatt neue Formen von Pflichtarbeit zu fordern, wie etwa den Service Citoyen, über den wir bald abstimmen werden, sollten wir dafür sorgen, dass Menschen genügend Zeit haben, sich freiwillig zu engagieren.

Hinzu kommt: Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt rasant. Viele Prozesse laufen heute automatisiert, künstliche Intelligenz übernimmt Routineaufgaben, und die Produktivität steigt. Die Frage ist also nicht, ob wir künftig mit weniger menschlicher Arbeitszeit auskommen, sondern wie wir diesen Fortschritt verteilen. Entweder profitieren einige wenige, während andere ihre Jobs verlieren. Oder wir alle ziehen einen Vorteil daraus, indem wir Arbeit gerechter verteilen und die individuelle Arbeitszeit reduzieren.

Die ältere Generation hat viel gearbeitet und viel geleistet. Aber war sie dadurch auch glücklicher?

Eine Reduktion der Arbeitszeit tönt erst einmal utopisch in der Schweiz. Schaut man ins Ausland, ist es eigentlich gar nicht so unrealistisch. Aber es braucht auf jeden Fall Geduld. Im Grossen Rat haben wir kürzlich einen Vorstoss überwiesen, der ein Pilotprojekt für KMU fordert, um verschiedene Modelle der Arbeitszeitreduktion zu testen und wissenschaftlich zu evaluieren. Wirklich nichts Revolutionäres. Und trotzdem: Selten habe ich bei einem so harmlosen Anliegen derart viel Gegenwind erlebt. Offenbar triggert das Thema Arbeitszeit die bürgerlichen Parteien massiv. Der Widerstand war fast panisch. 

Man sagt ja immer, die Gen Z sei empört. Nach dieser Debatte war mir klar: Nein, eigentlich sind es vor allem die älteren Semester, die bei einem solch sachlichen und ja, diskutablen Thema, höchst emotional reagieren.

Mir ist sehr bewusst, dass die ältere Generation viel gearbeitet und viel geleistet hat. Aber ob sie dadurch auch glücklicher und gesünder war? 

Liest man bekannte Umfragen, in denen ältere Menschen erzählen, was sie in ihrem Leben bereuen, heisst es fast immer: Sie hätten gerne mehr Zeit mit ihren Liebsten verbracht. Genau darum geht es: Um Zeit, die wir nicht zurückbekommen. Und diese Zeit würde ich meinen Mitarbeitenden auch gönnen.

Kolumne: «Mit links»

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