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Eric Nussbaumer: «Ich ereifere mich nicht – ich engagiere mich»

Der Baselbieter SP-Nationalrat ist in Bundesbern der aktivste Kämpfer für geregelte Beziehungen zur Europäischen Union. Im Interview sagt er, warum er die Bilateralen III für unverzichtbar hält. Und wo es nach Unterzeichnung des Vertragspakets ein «waches Auge» braucht.

Eric Nussbaumer
«Das geht nicht im Schlafwagen»: SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. (© Foto: Parlamentsdienste)

Eric Nussbaumer, niemand unter den Bundesparlamentariern setzt sich derart vehement für Europa ein wie Sie. Welches ist für uns der grösste Vorteil der Bilateralen III?

Man muss sich mit der Realität auseinandersetzen: Die Schweiz liegt mitten in Europa. Wir brauchen unbedingt geregelte Beziehungen zur EU, zu unseren Nachbarn. Wir können mit den Verträgen und mit guten Beziehungen unseren Wirtschaftsstandort stabilisieren. Dazu braucht es viele technische Mechanismen. Aber am Schluss geht es nicht um Details, sondern um geregelte Beziehungen. Von der Mobilität über den Warenhandel bis zur Forschung: Stabilität ist alles. 

Warum?

Es geht nicht nur um die Weiterführung der heutigen Bilateralen. Ein Nein hiesse auch ein Ende zu vielem sonst. Etwa zur Forschungszusammenarbeit. Ein Aus für die Weltraumforschung, Erdbeobachtung, Satellitennavigation und so weiter. Das Stabilisierungspaket ist auch der Schweizer Beitrag zur Stabilität insgesamt in Europa. Auch zur Entwicklung in Osteuropa. Entscheidend wird nicht ein Ja oder Nein zum Stromabkommen sein, aber ein Ja oder Nein zum Vertragspaket, zum sogenannten Stabilisierungsbeschluss. Mit einem Nein würden die bisherigen Bilateralen auslaufen, weil wir die neuen offenen Fragen dazu nicht mehr regeln wollten. Ein Ja zu den Bilateralen III ist das Bekenntnis, dass wir zu Europa und zum geschaffenen europäischen Rechtsraum gehören.

Der Abstimmungstermin liegt noch in weiter Ferne – weshalb ereifern Sie sich jetzt schon? 

Ich ereifere mich nicht – ich engagiere mich. Die Bilateralen sind wichtig für den Standort Schweiz. Seit 17 Jahren suchen wir eine Lösung. Das geht nicht im Schlafwagen.

Die Vernehmlassung zu den Verträgen ist abgeschlossen. Das Fazit des Bundesrats war, dass die Bilateralen III auf breite Zustimmung stossen. Das ist aus Ihrer Sicht doch ein Grund zur Zuversicht.

Das hat sich auf die Antworten der interessierten Kreise bezogen – jener, die sich mit dem Dossier auseinandergesetzt haben. Die breite Zustimmung hat immerhin gezeigt, dass die Schweiz gut verhandelt hat. Sonst wäre das Paket nämlich in der Vernehmlassung zerzaust worden. Ich denke, dass dies für eine gute Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments reichen wird. Aber um beim Volk zu bestehen, braucht es eine Kampagne. In der Volksabstimmung werden die Bilateralen umstrittener sein.

Wie wichtig sind die noch offenen Fragen bei der innenpolitischen Umsetzung?

Die wichtigsten noch offenen Fragen sind im Strombereich. Viele technische Fragen. Wir müssen sicherstellen, dass das Stromabkommen auch umgesetzt werden kann. Ausserdem gibt es noch die sozialpolitischen Fragen, deren Regelung für die Gewerkschaften besonders wichtig ist. Und schliesslich braucht es bei den staatlichen Beihilfen ein neues Gesetz, das mögliche Beihilfen sauber regelt.

«Wir müssen immer genau hinschauen, dass es keine Einwanderung in die Sozialwerke gibt.»
Eric Nussbaumer

Wie überzeugen Sie Ihre Parteikollegen und die Gewerkschaften?

Die Stabilisierung der bisherigen Bilateralen wird zu 100 Prozent unterstützt. Skeptiker gibt es bei den neuen Verträgen, also bei der Lebensmittelsicherheit, der Gesundheit und dem Strom. Die Gewerkschaften müssen erkennen können, dass man saubere Lösungen für die Arbeitnehmenden und die Konsumenten gefunden hat. Die Partei ist klar positioniert: Die Schweiz braucht dieses Vertragswerk mit der EU.

Die Gegner von rechts sprechen von einem Unterwerfungsvertrag, bei dem das Volk nur noch bei Gesetzesänderungen mitreden könne. Das meiste fliesse jedoch direkt in die Schweizer Rechtsordnung ein. Was halten Sie dem entgegen?

Soeben haben wir im Nationalrat alle Staatsverträge von 2024 behandelt. Es gab keine Wortmeldungen, obwohl der Bundesrat festgehalten hat, dass alle Verträge noch gestoppt werden könnten. Auch mit der EU ist der Ablauf der gleiche. Auch bei der dynamischen Rechtsentwicklung kann das Parlament Stopp sagen. Und bei einem Stopp kann man mit den europäischen Partnern verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen aushandeln. Es ist dies ein ganz normaler Vorgang. Die Gegner liegen völlig falsch, wenn sie etwas anderes behaupten. Dieser Prozess bei der dynamischen Rechtsentwicklung im übernommenen EU-Recht ist neu und gegenüber früher eine klare Verbesserung. Der Bundesrat wollte nicht mehr damit leben, dass gute Verträge wie heute einfach dahinfallen können.

Gibt es auch Bereiche, in denen die Rechtsübernahme Schwierigkeiten machen würde?

Die Personenfreizügigkeit ist sicher das meistdiskutierte Thema. Deshalb werden wir immer genau hinschauen müssen, dass es keine Einwanderung in die Sozialwerke gibt. Die Personenfreizügigkeit muss dem Arbeitsmarkt dienen, und sie muss menschlich ausgestaltet sein. Auch beim Landverkehr werden wir aufmerksam sein müssen. Damit wir nicht Bauwerke finanzieren und erstellen, zu denen die Nachbarn dann aber die Zufahrten nicht gemäss Abmachung erstellen, wie heute bei der Neat. Oder bei der Liberalisierung des Bahnnetzes den Taktfahrplan nicht respektieren wollen. Vieles konnte die Schweiz in den Verhandlungen erreichen, aber es braucht auch nach der Unterzeichnung des Vertragspaketes ein waches Auge.

Völkerrecht geht dem nationalen Recht vor, künftig auch das EU-Recht?

Die Schweiz ist ein Rechtsstaat und hält sich an Verträge. Wir schliessen nur Verträge ab, die wir auch einhalten wollen. Deshalb ja, das Bundesgericht hält sich schon heute daran.

«Als guter Demokrat finde ich, dass jeder Bürger genau eine Stimme haben soll.»
Eric Nussbaumer

Das Stromabkommen ist besonders umstritten und dürfte gar in eine separate Vorlage fliessen. Wird der Strom für den Normalverbraucher nun billiger oder teurer?

Es wird Wettbewerb bis in die Endkunden-Ebene herrschen. Normalverbraucher können einen anderen Dienstleister wählen. Wer wechselt, kommt tendenziell billiger weg. Ohne wettbewerbliches Marktdesign kann ein Konsument nicht wechseln. Es ist aber nicht nur eine Frage des Preises. Wie hilft mir der Versorger, wenn ich zum Beispiel eine eigene Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach habe? Es entsteht ein Dienstleistungs-Wettbewerb.

Umstritten ist die Frage des doppelten Mehrs bei der Volksabstimmung. Weshalb sollten die Stände das Volk nicht überstimmen können?

Als guter Demokrat finde ich, dass jeder Bürger genau eine Stimme haben soll. Nur wenn die Kantone speziell betroffen sind, soll eine Mehrheit der Stände verlangt werden. Zum Beispiel wenn Kantone Aufgaben verlieren. Das Volksmehr ist und bleibt aber der Ausgangspunkt. Es ist unsinnig zu konstruieren, die Bilateralen III seien besonders bedeutungsvoll. Es geht auch nicht um eine Verfassungsänderung. Alle Verträge bleiben kündbar. Das Volksmehr hat den bilateralen Weg geschaffen. Es muss auch bei der Fortsetzung dieses Weges gelten.

Die SVP-Initiative zur Zehn-Millionen-Schweiz ist soeben von beiden Räten mit der Nein-Parole ohne Gegenvorschlag verabschiedet worden. Es wird also in den nächsten Monaten darüber abgestimmt. 

Eine solche Verfassungsbestimmung ist eine schlechte Bestimmung. Das würde die Schweiz ins Chaos stürzen – schon nur weil wir heute etwas bestimmen würden, das vielleicht irgendwann einmal oder in zehn Jahren eintrifft. Wenn die Initiative trotzdem durchkommt, belastet es das Verhältnis zu den Nachbarn.

«Ohne klare Regeln zur Personenfreizügigkeit gelingt der grenzüberschreitende Lebensraum nicht mehr.»
Eric Nussbaumer

Ihr wichtigstes Argument dagegen?

Mit der Personenfreizügigkeit wird vieles geregelt, nicht nur die Einwanderung, sondern auch die Arbeitsbedingungen für Entsandte, die Grenzgänger, der Aufenthalt der Schweizer in der EU und vieles mehr. Mit der Initiative würde es deshalb chaotisch. Die Schweiz ist etwa in vielen Wirtschaftsbereichen auf viele Grenzgänger aus den Nachbarstaaten angewiesen. Ohne klare Regeln gelingt der grenzüberschreitende Lebensraum nicht mehr – eine Kündigung löst daher kein einziges Problem.

Wären damit die Bilateralen vom Tisch?

So radikal sehe ich es nicht. Es würde aber grösste Verwirrung und Rechtsunsicherheit schaffen, vor allem bei den Nachbarn im Elsass und in Baden-Württemberg. Es wäre blauäugig zu glauben, es gehe ohne Regeln zur Freizügigkeit. Ein Nein zur Chaos-Initiative der SVP ist darum wichtig. Die vom Bundesrat verhandelte Schutzklausel ist der richtige Weg: Im entscheidenden Moment können wir eingreifen.

Wünschen Sie sich eine Volksabstimmung zu den Bilateralen III noch 2027, also vor den nächsten eidgenössischen Wahlen?

Ich hoffe es. Es wäre im Interesse des Landes wichtig, dass es noch im Sommer 2027 reicht. Der Bundesrat wird im Februar unterschreiben. Dann folgt der Ratifikationsprozess mit der Zustimmung des Parlaments und danach die Volksabstimmung. Die Genehmigung des Vertrags findet parallel im Europaparlament statt. Bis etwa Ende 2026 sollte dies alles entschieden sein. Dann könnten wir im Sommer 2027 abstimmen.

Die Rubrik BundeshausReports beleuchtet Themen der Bundespolitik aus Nordwestschweizer Perspektive. Sie erscheint unregelmässig alle paar Wochen. Hier finden Sie die bisherigen Beiträge.

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Kommentare

Christoph Schwegler
Radiopensionär

Ausgerechnet ...

... ein Parteikollege von Beat Jans brilliert mit der zynisch wirkenden Aussage: «Wir müssen immer genau hinschauen, dass es keine Einwanderung in die Sozialwerke gibt.»