Die Basel Sinfonietta lässt den Ball laufen
Im Fussball-Oratorium «Der 7. Himmel» kommt es zu einem Hauch der Verbrüderung zwischen FCB-Fans und Theaterabonnenten. Die Premierenkritik.
Ein Fussballstück mit Sinfonieorchester, Sängerinnen und Sängern vom Theater Basel – darauf muss man auch erst mal kommen. Bei Licht besehen ist die Idee aber gar nicht so abwegig. Erstens gibt es in dieser Stadt seit dem Trainerwirken von Helmut Benthaus in den Siebzigerjahren eine gewisse Tradition der Verbindung beider Welten, Fussball und Theater. Zweitens hat die Musik durch die Fangesänge im Fussballstadion ihren unverrückbaren Platz; die Hymne aller Hymnen, «You’ll Never Walk Alone» von Richard Rodgers, stammt aus dem Musical «Carousel», das vor einigen Jahren in einer Produktion mit der Starsopranistin Cheryl Studer am Theater Basel zu erleben war. Und, drittens, sprechen Fussballfans nicht gern von einem Tänzchen oder gar einem Ballett, wenn einem Spieler oder einer Spielerin eine besonders elegante Volte gelungen ist?
Der 1965 geborene deutsche Komponist Moritz Eggert hat schon 2006 im Hinblick auf die Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland ein Fussball-Oratorium geschrieben, das den schönen, von Günter Netzer entliehenen Titel «Die Tiefe des Raumes» trug. Jetzt steht die Frauenfussball-Europameisterschaft bevor, und Eggert hat sich mit dem in der Region Basel lebenden Schriftsteller Wolfgang Bortlik, der Basel Sinfonietta und dem Theater zusammengetan, um auch diesen sportlichen Mega-Event musikalisch zu würdigen.
Das Stück heisst jetzt «Der 7. Himmel», ein Zitat aus der Basler Fan-Hymne «Fuessball, das isch unser Läbe». Die Basler Premiere am Donnerstag war die begeistert aufgenommene Uraufführung der neuen Fassung.
«Fussball ist das nicht!»
Baslerisch ist zumindest ein Teil der Sprecher-Crew. Beni Huggel, der nach seiner Stürmerkarriere zum versierten und sprachmächtigen Fussballanalytiker geworden ist, sitzt neben dem Zürcher Fernseh-Fussballreporter und -unterhalter Bernard oder Beni Thurnheer an einem Tischchen. Letzterer fabuliert von einem «Ein-Mann-Bollwerk». Beide sind oft schwer verständlich, im Unterschied zur dritten und jüngsten im Speaker-Bunde: Danique Stein, die nach ihrer aktiven Fussballkarriere heute als Trainerin und Sportmanagerin tätig ist und im Stück als Trainerin ein paar markige Anweisungen in den Raum schleudert: «Lass doch den Ball laufen!» oder «Fussball ist das nicht!»
Inzwischen hat Dirigent Titus Engel im gelb-schwarzen Sporttenue seinen Platz ersprintet und unterbricht mit der Autorität eines Taktstockmagiers die grölenden Fangesänge von der Empore. Für die Basler Aufführung hat man keinen Aufwand gescheut und ein fast hundertköpfiges Orchester mitsamt Chor und Extrachor sowie Gesangssolisten auf die Bühne gebracht. Am rechten Rand sitzen die Kommentatoren, die nach einigen Minuten den Rückstand des FC Basel gegen den FC Zürich bekanntgeben müssen. Ein Fussballreporter von der schreibenden Zunft (baritonal stark: Matthias Störmer) notiert geniale Statements wie «Sie schiessen aus allen Rohren» oder «Was für ein Tor!» in seinen Notizblock.
Aber danach ist erst einmal eine Phase der andächtigen Besinnung angesagt. Die Sopranistin Chelsea Zurflüh, ersichtlich ein Basel-Fan und eine bezaubernde Opernstimme dazu, beschwört den Ball, als wäre er eine heilige Reliquie. Das scheint zu helfen: Die Basler holen auf, und mit einem 1:1 geht man in die wohlverdiente Pause. Eine schwarze, als «Das Laster» bezeichnete Figur kann in der Verkörperung durch Annette Schönmüller den Lauf der Dinge nicht aufhalten, streut aber immer wieder eine hübsche Prise Bosheit ein.
Das Stück geht dann noch lange 55 Minuten weiter, nämlich 45 Minuten für die zweite Halbzeit und zehn Minuten als Verlängerung obendrauf, weil das Spiel nach der regulären Spielzeit unentschieden steht. Eine Verletzung des Tenor-Stürmers (Paul Curievici) reisst ihn zu einer absteigenden, Bach-würdigen Koloraturarie und uns alle zu Mitleid hin, nur der Komponist Moritz Eggert macht sich daraus einen Spass und schreibt eine wahre Variationenfolge der Verletzungsarten. «Passion» kann nun mal Leidenschaft oder auch Leidensgeschichte bedeuten.
Shaqiri, der Erlöser
Da kann der Verletzte lange «Schluss!» schreien – wenn Beni Thurneer «mehr Tempo, mehr Tiefe, mehr Tore!» fordert, ist das wie ein Befehl von ganz oben. Tatsächlich dümpelt das Spiel und auch das Stück ein wenig dahin. Erst in der siebten Minute der Nachspielzeit fällt nicht nur das 3:2 für Basel, sondern auch der Name Shaqiri. Der Erlöser erzwingt unser aller Dankbarkeit und Demut. Da kann man als FCB-Fan nur noch ehrfürchtig auf die Knie fallen und beten: «Am Anfang war das Spiel.» Nicht nur hier erinnert Moritz Eggerts Musik bei aller stilistischen Vielfalt und handwerklichen Virtuosität an den oft religiös durchtränkten Songstil von Kurt Weill.
Es macht Spass, dieses Fussball-Oratorium mit Basler Spurenelementen zu hören, und die Perfektion, mit der die gut geölten Zahnrädchen der Theatermaschinerie ineinander greifen, ist alle Bewunderung wert. Klar, der Vorwurf der Anbiederung der Hochkultur an den Massensport liegt auf der Hand. Neue Musik hat tiefe Einschaltquoten, da kann sie vom Sport schon mal profitieren. Es ist ja nicht anzunehmen, dass FCB-Fans jetzt plötzlich zu Theaterabonnenten werden. Aber ein Hauch von Verbrüderung lag schon in der Pyro-geschwängerten Luft des Basler Musiksaals, als man diesen nach unterhaltsamen zweieinviertel Stunden gutgelaunt verliess.
Eine zweite und vorläufig letzte Aufführung findet am Dienstag, 27. Mai, um 19 Uhr im Musiksaal des Basler Stadtcasinos statt.
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