Zürcher Schulmeistereien

Die äusserste Rechte als Retterin der europäischen Liberalen und Konservativen? Ha!

NZZ-Ausschnitt
«Präzedenzloser» Fehlstart: Ausschnitt aus dem Leitartikel des NZZ-Chefredaktors Eric Gujer. (Bild: Thomas Gubler)

Wir lieben sie. Doch manchmal schmeissen wir sie auch wutentbrannt in eine Ecke. Allerdings, um gleich Reue darüber zu empfinden, der guten, alten Tante NZZ vielleicht doch Unrecht getan zu haben.

Soviel zum Normalfall. Doch was, wenn nach einem Wutanfall die Reue ausbleibt, wie etwa am vergangenen Samstag nach der Lektüre des Leitartikels von Chefredaktor Eric Gujer «Koalition des Stillstands» zur deutschen Regierungsbildung?

Da hat der NZZ-Chef vom Katheder der Zürcher Falkenstrasse aus den schliesslich doch noch gewählten deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz nicht nur nach Strich und Faden geschulmeistert, sondern diesen richtiggehend abgekanzelt – geradeso, als hätte der Spitzenmann der deutschen CDU eben einen Tolggen ins Reinheft gekleckert.

Von einem «präzedenzlosen» Fehlstart Merz’ schreibt Gujer – dabei war CDU-Politiker damals noch gar nicht gestartet – und spricht diesem die Fähigkeit, den «liberalen Konservatismus» in Europa zu verteidigen, schon einmal ab. Um handkehrum seine Hoffnungen auf die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu setzen, die vielleicht den «pragmatischen Konservatismus» wieder reanimieren könnte.

Die liberal-konservative Meloni? Da dürften die wenigen übrig gebliebenen italienischen Liberalen aber die Stirne runzeln und Melonis «Fratelli d’Italia» still vor sich hin feixen. Und in Frankreich hält der Chefredaktor des Zürcher Leitmediums eine Präsidentin Le Pen quasi für unvermeidlich – trotz eines «fragwürdigen Gerichtsurteils» gegen die Chefin des rechtsnationalistischen Rassemblement National. Als ob der Rechtsstaat bei der äussersten Rechten in ihrem leichtfertigen Umgang mit öffentlichen Geldern doch gefälligst beide Augen zudrücken sollte.

Aber zurück zu Deutschland und zu Friedrich Merz, der eine Änderung der Politik verspricht, dem Eric Gujer aber schon jetzt das Scheitern prophezeit. Und zwar weil «der Ausweg aus dem Stillstand und dem schwarz-roten Elend» nur «über die Zusammenarbeit mit der AfD führt». Mit der gleichen AfD notabene, die auf derselben NZZ-Frontseite vom deutschen Verfassungsschutz «offiziell als extremistisch» bezeichnet wurde. 

Das schien Gujer indessen wenig zu kümmern. Da hält man sich doch lieber an den Zürcher  Alt-SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der mit seinem jovialen «Salü Alice» der AfD-Chefin Alice Weidel schweizerseits die Absolution erteilt hat. Deutscher Verfassungsschutz hin oder her.

Die äusserste Rechte als Retterin der europäischen Liberalen und Konservativen? Das ist, als ob im Baselbiet SVP-Chef Peter Riebli dem in der Sinnkrise steckenden Freisinn wieder auf die Beine helfen müsste.

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Gedanken zum NZZ-Leitartikel

Kommentare

Mantel Max
07. Mai 2025 um 10:33

Opportunist

Dass Guyer auf dem rechten Auge gewisse Sehschwächen aufweist, fällt mir nicht erst bei diesem Artikel auf. Das hat System und ich habe den Eindruck, bei Guyer handle es sich um einen reinwolligen Opportunisten, der die Fahne immer nach dem Wind richtet, welcher gerade bläst. Und der scheint halt in weiten Teilen Europas aus der rechten Ecke zu wehen. Ich bin nur gespannt, was er «raus lässt», wenn es mal irgend so ein Extremist schafft, in seine TV-Sendung eingeladen zu werden. Dem ehemaligen Bundesrat Maurer (gemäss Selbstdeklaration ein Freund der AfD) hat er völlig harmlose Fragen gestellt, als es um dessen undurchsichtige Rolle beim Untergang der CS ging. Es würde mich nicht wundern, wenn er diese Tonart auch bei einem allfälligen Gespräch mit Alice Weidel anschlagen würde.

Florian Suter
Hausarzt im Ruhestand

Vielen Dank, Thomas Gubler!

Ich bin der genau gleichen Meinung und habe mich schon oft über die Schulmeistereien des Herrn Gujer geärgert, die oft mit zynisch anmutendem Schielen nach rechts einhergehen. Glücklicherweise gibt es bei der NZZ neben deren Chefredaktor und einigen anderen Heissspornen, die immer wieder ihre Häme ausbreiten, besonnenere Stimmen, an die ich mich gerne halte. Deshalb: Ich empfinde zwar keine Reue, wenn ich – wie Thomas Gubler – eine Ausgabe der NZZ in eine Ecke schmeisse … Aber ich hole sie dann doch wieder hervor und suche geniessbare Beiträge.

Steffi Luethi-Brüderlin
07. Mai 2025 um 14:07

Die Alte Tante zeigt Demenzerscheinungen

Da wird ein selbsternanntes Leitmedium zum Leidmedium. Ob man mit dessen Chefredakteur (heisst es ja wohl beim auf Deutschland ausgerichteten Chefredaktor) Mitleid haben muss? Derart an den rechten Rand schielend. Offensichtlich mit einer fundamentalen Wahrnehmungsstörung in Sachen «liberal» unterwegs ...

Ueli Keller
Bildungs- und Lebensraumkünstler

Die Welt, von der welche Medien auch immer berichten, nehme ich immer öfter als verrückt wahr. Es wird viel kaputt gehen. Und dies nicht nur dort, wo Kriege herrschen. Möglich ist dies unter anderem mit einer Bevölkerung und ihrer Politik, wenn sie von einer Mehrheit von Dummen (die nicht wissen, was sie tun), Gleichgültigen (denen eh alles Wurst ist), Schlauen (denen nur das wichtig ist, was ihnen selber nützt) und intelligenten Gemeinen (die dafür auch noch andere über den Tisch ziehen) dominiert wird. Mir selber tut es gut, wenn es mir gelingt, diese Welt nicht mehr hoffnungslos ernst zu nehmen. Froh und glücklich von Herzen sowie zuversichtlich im Kopf bin ich für und mit Projekten engagiert, die in einer anderen Welt für eine andere Welt unterwegs sind: Es freut mich, dass und wie es immer mehr werden!