Generation Juso gibt im Baselbieter Wahlkampf den Takt an
Einstige Jungsozialisten drängen erfolgreich in Entscheidungsfunktionen. Hingegen bröckelt im Kampf um die Gschwind-Nachfolge die Mitte-Rechts-Mehrheit – die bürgerlichen Parteien zerlegen sich.
Gut zwei Monate vor der Ersatzwahl für die zurücktretende freisinnige Bildungsdirektorin Monica Gschwind ist es höchst ungewiss, ob es den Freisinnigen am 26. Oktober gelingen wird, ihren einzigen Sitz in der fünfköpfigen Baselbieter Kantonsregierung zu verteidigen.
Dem Parteitag vom kommenden Donnerstag serviert die Parteileitung ein Trio zur Auswahl: die Buusner Gemeindepräsidentin Nadine Jermann, den Liestaler Stadtpräsidenten Daniel Spinnler und den Arlesheimer Gemeindepräsidenten Markus Eigenmann. Es sind drei Kandidierende, die grundsätzlich ebenso valabel wie in ihrem Profil kaum unterscheidbar sind.
«Eine Vakanz, kein FDP-Sitz»
Die SVP als stärkste Kraft im Kanton scheint nicht bereit, als Wahlhelferin zu dienen: Sie fordert eine FDP-Kandidatur mit einer ihr genehmen «politischen Schnittmenge». Gleichzeitig hält sie eine eigene Kandidatur bereit und hat mit Matthias Liechti und Caroline Mall zwei Interessierte aus unterschiedlichen Parteiflügeln.
Wie die FDP entscheidet auch die SVP am Donnerstag, mit wem sie zur Wahl antreten will. Parteichef Peter Riebli zeigt angesichts der freisinnigen Auswahl auch kurz vor der Nomination keine Lust, gegenüber dem Bündnispartner klein beizugeben. Gegenüber OnlineReports stellt er klar: «Zur Diskussion steht eine Vakanz in der Regierung, kein FDP-Sitz. Punkt.»
Derzeit herrscht zwischen den beiden Parteien Funkstille. Nachdem es der SVP 2023 nicht gelungen ist, ihren Regierungssitz zu verteidigen, strebt sie nun die Rückkehr an und setzt den Freisinn damit unter Druck. Doch die FDP zieht sich zurück ins Schneckenhaus.
Vor einigen Wochen habe er die Freisinnigen über die SVP-Bereitschaft zur Kandidatur informiert, sagt Peter Riebli. Die FDP habe ihn seither aber nicht direkt kontaktiert. «Das ist strategisch ungeschickt. Ich habe mir ein anderes Vorgehen vorgestellt» – nämlich, den wechselseitigen «Spielraum auszuloten», welche Kandidatur bei einer Wahl die besseren Chancen hat.
Juniorpartner und Steigbügelhalter
Zwei Bündnis-Partner – ein Sitz: Noch nie war die Konkurrenzlage zwischen den beiden Parteien so brisant wie vor dieser Ersatzwahl. Riebli, der früh vor dem BLKB/Radicant-Debakel gewarnt hatte, nimmt die Akteure der 120-Millionen-Affäre ins Visier. Die SVP schreckt nicht einmal davor zurück, die freisinnige Regierungs-Anwärterin Nadine Jermann wegen ihres früheren Engagements als BLKB-Bankrätin für nicht wählbar zu erklären.
Der SVP-Chef nimmt kein Blatt vor den Mund: «Die FDP betrachtet uns teilweise immer noch als Juniorpartner. Wir wollen aber nicht nur ihr Steigbügelhalter sein, sondern auch mal Unterstützung erhalten.» Damit meint Riebli, die FDP solle auf den eigenen Sitz verzichten und der SVP die Rückkehr in die Regierung ermöglichen.
Die FDP wirkt stark verunsichert. Die Parteispitze, die vor allen anderen über Gschwinds Rücktritts-Pläne informiert war, hat es unterlassen, zeit- und zielgerecht eine zündende Exekutiv-Kandidatur aufzubauen. Dem Parteitag ein Dreierticket für eine Einer-Kandidatur vorzulegen, unterstreicht ihre Entscheidungsschwäche.
Wie ein bröckelnder Fels
Jahrzehntelang sicherte die bürgerliche Zusammenarbeit (Büza) mit Mitte, FDP und SVP im Baselbiet die Mehrheit in Regierung und Parlament. Doch heute ist auf die Macht-Krücke kein Verlass mehr: Das Majoritäts-Versprechen ist so unberechenbar geworden wie ein bröckelnder Fels im Permafrost.
Zusätzlich geschwächt ist die FDP, seit sie sich von der Wirtschaftskammer Baselland distanziert hat und auf deren mächtige Marketing-Maschine verzichtet. Seither sucht die Parteileitung eine «eigenständige Führung» ohne Verbandsberatung, an internen Anlässen der Wirtschaftskammer ist sie laut Quellen nicht zu sehen.
Die Ersatzwahl vom 26. Oktober entblösst den fortschreitenden Bedeutungsverlust der 18-Prozent-Partei: Von Personalaufbau, Programmen und Profilen ist ebenso wenig spürbar wie von langfristigen Zielen innerhalb der Bündnispartner.
Auch die Mitte muss sich Sorgen machen: Ihrem Finanzdirektor Anton Lauber haftet Radicant wie ein Klotz am Bein an und neues Ungemach im Zusammenhang mit der Kantonalbank droht.
Aus dem Brutkasten der Juso
Umso bemerkenswerter ist die neuste Entwicklung im gegnerischen Lager, wo sich eine Mitte-Links-Zusammenarbeit (Miliza) mit SP, Grünen, Grünliberalen, EVP und Teile der Mitte abzeichnen könnte: Die SP verzichtet darauf, den FDP-Sitz anzugreifen, und unterstützt erstmals in ihrer Geschichte eine grünliberale Kampf-Kandidatur in der Person der früheren Läufelfinger Gemeindepräsidentin Sabine Bucher.
Der Deal: Die Grünliberalen werden im Gegenzug bei den nationalen Wahlen 2027 SP-Nationalrätin Samira Marti als Ständeratskandidatin unterstützen, sollte Maya Graf, die amtierende Ständerätin der Grünen, nicht mehr antreten.
Das Kalkül setzt auf schwindenden bürgerlichen Einfluss im Baselbiet: Nachdem vor zwei Jahren die kleine EVP mit Thomi Jourdan der SVP den Regierungssitz weggeschnappt hat, könnte den Grünliberalen jetzt dank des Supports des neuen Bündnisses Miliza das Gleiche mit dem FDP-Sitz gelingen. Buchers Wahlchancen sind intakt: Sie zählt zum rechten GLP-Flügel.
Hinter dem SP-Schachzug stehen nicht altgediente linke Polit-Füchse, sondern die erfolgreichsten Juso-Köpfe, die an der Spitze von Partei und Fraktion angekommen sind: Eine Generation, die im Produktiv-Brutkasten der Jungsozialisten politisiert wurde und sozusagen mit Juso-Muttermilch aufwuchs, hat die Zügel der Mutterpartei übernommen. Sie bestimmt den Takt dieses in mehrfacher Hinsicht besonderen Wahlgangs.
Systematische Talentförderung
Kantonalpräsident Nils Jocher, 29 Jahre alt, war Co-Präsident der Jungsozialisten, der 32-jährige Fraktionspräsident Adil Koller amtete als Juso-Vorstandsmitglied und Vizepräsident. Nun haben die beiden eine Souveränität erreicht, die es ihnen erlaubt, mit Stolz die frühere Juso-Präsidentin Samira Marti (31) als ihre nächste Ständerats-Kandidatin anzukündigen.
Die drei führenden Köpfe, alle studierte Ökonomen und rhetorisch überdurchschnittlich beschlagen, sind nicht dem Zufalls-Generator entsprungen. Im Kreise junger Wilder, die auch mal den Rücktritt eines eigenen Regierungsrates verlangten und mit dem Stinkefinger auf Medienberichte reagierten, gingen sie parteiintern durch die systematische Schule der Talentförderung und der Kampagnenführung. Samira Marti wurde als 24-Jährige jüngste Nationalrätin der Schweiz und ist inzwischen zur Co-Präsidentin der SP-Bundeshausfraktion avanciert.
SVP-Chef lobt SP-Personalpolitik
Als Adil Koller vor acht Jahren in den Landrat nachrückte, mahnte ihn die damalige FDP-Präsidentin Christine Frey mit den Worten ab, er trage noch «Schwimmflügeli». Heute nennen die Medien den agilen Debattierer häufig als möglichen Anwärter auf ein Regierungsamt. Dazu ist die Zeit seiner Meinung nach noch nicht reif. Aber SVP-Stratege Riebli lobt: «Die SP betreibt eine sehr clevere Personenführung.»
Von solcher Nachwuchsförderung können die bürgerlichen Parteien – und übrigens auch die Grünen – nur träumen. Ihre Jungen-Sektionen vegetieren unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Einzig die SVP sorgt mit Sarah Regez für Aufmerksamkeit – und ebenso viel Empörung. Mit ihren Sympathien für Ultrarechts verspielt sich die umstrittene Politikerin aus Sissach auf absehbare Zeit Regierungsfähigkeit, nicht aber parlamentarische Aktivität.
Der Flirt der SP mit den Grünliberalen begann vor längerer Zeit zwischen dem GLP-Co-Präsidenten und ADEV-Geschäftsführer Thomas Tribelhorn und Nils Jocher. Letzterer war persönlicher Mitarbeiter von SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, früher ADEV-Präsident und höchster Schweizer. Beteiligt am Deal waren auch GLP-Fraktionschef Manuel Ballmer und sein SP-Pendant Adil Koller.
Jugendparlament sorgte für Politisierung
Was die SP dank der Juso an Nachwuchs-Aktivierung schaffte, gelang im vergangenen Jahrhundert dem Baselbieter Jugendparlament. Dieses Gremium politisierte Anfang der 60er-Jahre zahlreiche Akteure, die später kantonale oder nationale Bekanntheit erlangten.
Zu ihnen gehörten Ständerat René Rhinow (FDP), Nationalrat Hans Rudolf Gysin (FDP), die Regierungsräte Werner Spitteler und Erich Straumann (beide SVP) ebenso wie die Landräte Roger Blum (FDP), Peter Waldner (SP), Urs Burkhart (SP), Béatrice Grieder (FDP), Paul Dalcher (FDP), Peter Schafroth (FDP) oder die Gemeindepräsidenten Rudolf Mohler (FDP) und Hans Plattner (FDP).
Waren die damaligen Jugendparlamente laut dem Historiker und Medien-Professor Roger Blum eine Art «Übungsgelände für die grosse Politik», haben die heutigen Schweizer Jugendparlamente und Jugendräte (wie im Baselbiet) eher die weniger mobilisierende Funktion von «Interessenvertretungen der jungen Generation».
«Grosser Coup» beflügelt
Umso prominenter zitiert Links-Stratege Adil Koller auf seiner Website den «grossen Coup». Die bz schrieb: «Die Linken schliessen unerwartete Bündnisse, die den ganzen Wahlkampf auf den Kopf stellen könnten.»
Der Konjunktiv im Zitat ist gerechtfertigt. Er regt zwar die Fantasie einer historischen Wende an: den Bruch der traditionellen bürgerlichen Regierungs-Mehrheit durch die vereinigten Mitte-Links-Kräfte, die zusammen mit Teilen der Mitte die 50-Prozent-Marke streifen.
Aber der Coup gibt noch keine Antwort darauf, wie die Grünen und die Mitte ihre Sitze in Regierungs-, Stände- und Nationalrat werden verteidigen können. Ständerätin Maya Graf und ihr Parteikollege und Regierungsrat Isaac Reber sehen ihrer politischen Pensionierung entgegen, ebenso Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter und der im Radicant-Netz zappelnde Finanzdirektor Anton Lauber.
Das Baselbiet steht vor spannenden Zeiten. Doch die Revolution wird durch unerwartete Bündnisse vorderhand nicht ausbrechen. Der Coup beschränkt sich vorläufig auf eine Ersatzwahl mit dem Versprechen, Samira Marti zu unterstützen. Die Träume, die er auslöst, bleiben indes niemandem verwehrt.
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