Die perfekte Politikerin

Die Kolumnistin wünscht sich «nichts sehnlicher als ein paar Jacinda Ardern mehr».

Jacinda Ardern am 13. Juli 2021
Jacinda Ardern am 13. Juli 2021 bei einer Veranstaltung in Palmerston North. (Bild: Palmerston North City Council / CC BY 4.0)

Nein, mir geht es in dieser Kolumne nicht nur um Politikerinnen. Ich wollte Sie nur schon einmal herausfordern mit dem generischen Femininum im Titel, damit Sie im Folgenden nicht nur an männliche Politiker denken. Denn das Bild des Politikers ist noch immer stark männlich geprägt.

Was ich in dieser Kolumne ausloten will, bezieht sich aber auf alle Geschlechter: Was macht eine gute Politikerin, einen guten Politiker aus? Ich finde jetzt, da in Basel-Stadt keine Wahlen anstehen, ist es ein guter Augenblick, um darüber nachzudenken.

Die Frage kam durch meine Sommerferien-Lektüre auf, als ich die Autobiografie von Jacinda Ardern «A different kind of power» gelesen hatte. Jacinda Ardern war von 2017 bis 2023 Premierministerin von Neuseeland und wurde weltweit bekannt, weil sie bei ihrer Wahl schwanger war und dann praktisch mit Baby im Arm ihr Amt angetreten hat. Ich kann mich erinnern, wie ich das Bild von ihr und dem Baby 2017 in den Medien gesehen habe und wie es mich geflashed hat. Vor acht Jahren war das doch ziemlich revolutionär.

What you see is what you believe. Ein Satz aus der Verhaltensökonomie, den man nicht unterschätzen sollte. Kurz zu Deutsch: Vorbilder sind wichtig. Junge Frau, Mutter mit Baby kann Premierministerin werden. Wow! Das macht etwas mit mir. Es hat insbesondere Einfluss auf meine Vorstellung, wie eine Politikerin ist oder wer ein Politiker sein kann. Diese identitätspolitische, repräsentative Ebene ist relevant. Sie sagt aber noch nichts darüber aus, ob ein Politiker oder eine Politikerin gut ist. Klar, da spielen noch weitere Ebenen mit rein.

Die politische Positionierung ist für mich das wichtigste Kriterium überhaupt. Und auch wenn das hier nun nach einer Selbstverständlichkeit tönt, diskutiere ich vor Wahlen immer wieder mit Mitmenschen, die mir sagen, es komme nicht darauf an, welche Partei oder Position eine Politikerin hat, Hauptsache sie sei kompetent. Ich teile diese apolitische Haltung nicht.

Politik ist «People Business». Ohne Sozialkompetenz kommt man nicht weit.

Vor allem in der Regierungsarbeit gibt es grossen Handlungsspielraum, welche Projekte man vorantreibt und mit welchem Engagement. Um diesen Handlungsspielraum auszunutzen, braucht es selbstverständlich zusätzliche Kompetenzen. Hier eine lose Aufzählung:

Politik ist «People Business». Ohne Sozialkompetenz kommt man nicht weit. Ein guter Politiker oder eine gute Politikerin sollte zudem die eigenen Grenzen kennen. Dafür braucht es Selbstreflexionsvermögen und etwas Demut. Und natürlich ist auch die Ebene der rhetorischen Kompetenz nicht zu unterschätzen. Dass eine gute Rhetorik alleine die Welt verändert, bezweifle ich jedoch. Der Wille zur Veränderung, zum Beispiel zu einer gerechteren Gesellschaft, ist damit nämlich noch nicht gegeben – womit wir wieder bei der politischen Positionierung wären.

Mir hat Jacinda Ardern nicht nur auf der repräsentativen Ebene Eindruck gemacht. Ihr politisches Programm beinhaltete die Abschaffung von Kinderarmut, Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung und bessere Rechte für Arbeitnehmende. Sie hat mit viel Sozialkompetenz empathisch das Land geführt (heute lehrt sie an der Harvard University «Empathisches Führen»).

Jacinda Ardern hat bei den rechtsextremen Terroranschlägen echtes Beileid mit der muslimischen Community gezeigt. Während Corona waren ihre Ansprachen an die Bevölkerung rhetorisch brillant. Aber eben, sie hat nicht nur einfach «gut geredet» – dahinter steckte auch eine erfolgreiche, und ja, mutige Corona-Politik. Und sie hat nach sechs Jahren Regierungstätigkeit selbst gemerkt, dass sie mit ihrer Energie an ihre Grenzen gekommen ist, hat dies der Öffentlichkeit mitgeteilt und ist zurückgetreten. Das ist ehrlich und mutig. Zwei Charaktereigenschaften, die in der Beschreibung von guten Politiker:innen natürlich nicht fehlen dürfen.

Auch Jacinda Ardern war nicht perfekt, klar. Aber wenn ich sehe, welche Staatschefs heute die Weltpolitik prägen, wünsche ich mir nichts sehnlicher als ein paar Jacinda Ardern mehr – for a different kind of power.

Kolumne: «Mit links»

Kommentare

Peter Waldner
25. August 2025 um 15:16

Alles Relativ

Die Sozialkompetenz ist zweifellos wichtig, aber sie sollte nicht nur auf jetzt, sondern weit in die Zukunft bedacht werden. Und da unterscheidet sich vermutlich meine «perfekte Politikerin» beträchtlich von dem, was unsere Räte so diskutieren und beschliessen. Ist es denn nicht so, dass das «People Business» sich arg auf das jetzt lebende (wahlberechtigte) People konzentriert? Wird denn nicht die Antwort auf die Frage: «wer soll das bezahlen» immer auf «morgen» verschoben? Ist denn unsichtbar, dass wir heute das Geld der Kinder und Enkel ausgeben? Wird nicht sogar das Problem mit sogenannten «Lösungen» verwedelt? (2 Beispiele dazu: Die «Gebühr», welche von der teuren, privaten Serafe eingezogen wird, nicht von der Bundessteuer, um davon abzulenken, dass es halt doch eine zweckgebundene Haushaltsteuer ist. Oder das Theater wegen der Finanzierung der 13. AHV, die ja nicht über die – bewährten und grundsätzlich vorgesehenen – Lohnabzüge finanziert werden sollen, damit die Jungen nicht merken, wie der Hase wirklich läuft.) Mein Fazit: die «perfekte Politikerin» verwechselt Empathie nicht mit Emotion und politisiert entsprechend sachlich, überlegt, und so weit in die Zukunft denkend.