Ein Kämpferherz: Journalist Fred Müller ist tot
ffm. verkörperte einen angriffigen Journalismus – schonungslos unerschrocken und analytisch scharf.
In den Siebziger-Jahren galt er als der gefürchtetste Journalist in der Region Basel. Am 7. Juli ist der in Rheinfelden aufgewachsene Fred Müller im Alter von 74 Jahren in Zürich gestorben.
Seine berufliche Jugendblüte erlebte er als Mitarbeiter der linksliberalen National-Zeitung (NZ). Wenn ffm. (so sein Kürzel) in die Tasten griff, war erhöhte Aufmerksamkeit angesagt.
Müller verkörperte den Spiegel-inspirierten angriffigen Journalismus, der Partei bezog und wenig von Ausgewogenheit hielt. Fricktaler Gemeindegrössen, die er ins Visier nahm, können ein Lied davon singen. Junge Berufsleute sahen sowohl in seiner aussergewöhnlichen Produktivität – gefühlt jeden Tag einen Dreispalter –, vor allem aber in seinem schonungslos unerschrockenen und gleichzeitig analytisch scharfen Schreibstil ein Vorbild.
Das Sprachrohr in Kaiseraugst
Wie ein Themen-Glücksfall plumpste Fred Müller der Volksaufstand gegen das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst in den Schoss. Ganz im Sinne des anwaltschaftlichen Journalismus war er das wichtigste Sprachrohr der AKW-Gegner. Er fütterte die NZ-Lokalredaktion eng getaktet und in gestanzten Sätzen mit den neusten Entwicklungen auf dem besetzten Baugelände.
Müller lebte das damalige Verständnis von Pressefreiheit und anwaltschaftlichem Journalismus bis an die Grenzen aus. Direkt in die Partei-Publizistik führte ihn der Zweijahres-Einsatz im Redaktionskollektiv der SP- und Gewerkschaftszeitung Basler AZ, die 1992 einging.
Gewerkschaft macht Medienpolitik
Er sah sich legitimiert und mental geleitet im Kampf von «denen da unten» gegen «die da oben» – nicht nur journalistisch, sondern auch institutionell.
Von 1975 bis 1981 entwickelte er die VPOD-Sektion Schweizerische Journalisten-Union (SJU) als Präsident zu einer dynamischen und fortschrittlichen Medien-Gewerkschaft und Konkurrenz zur behäbigen Standesorganisation. Sie verstand unabhängigen Journalismus als Service public und bekämpfte die Privatisierung der elektronischen Medien.
Der damalige SJU-Administrativsekretär Ludwig A. Minelli, heute 94-jährig, lobt Müller in den höchsten Tönen: sehr ruhig, klug und ausgleichend habe er sein Präsidium wahrgenommen.
Organisiert in Betriebs- und Ortsgruppen machte die SJU manchen Verlegern das Leben schwer. Sie kämpfte für Redaktionsstatute, organisierte Protestaktionen bei Entlassungen und brachte sich deutlich vernehmbar in die schweizerische Medienpolitik ein. Müller wurde Mitglied der vom Bundesrat eingesetzten Expertenkommission für eine Medien-Gesamtkonzeption, die jedoch keine substanziellen Ergebnisse zeitigte und versandete.
Journalist statt Schnapsbrenner
Fred Müller war Spross einer Rheinfelder Schnapsbrenner-Familie. Er widersetzte sich dem Wunsch seines Vaters, dereinst die Leitung des Betriebs zu übernehmen – und wurde Journalist, immer getrieben vom Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität.
Die weiteren beruflichen Stationen führten ihn nach London (für Facts) und Ostberlin, wo er als Echo-Korrespondent für Radio DRS (heute Radio SRF) und den Tages-Anzeiger den Mauerfall, den Niedergang der DDR und die heute sichtbaren Folgen der schnellen Wiedervereinigung kritisch analysierte.
Dem einmal erworbenen publizistischen Selbstverständnis blieb er treu, bis seine alte handwerkliche Schule in der zum Schonungs-Journalismus neigenden Mainstream-Medienwelt keine Nachfrage mehr fand. Nicht bereit, sich der neuen Stil-Ideologie zu unterwerfen, liess er sich 2008 vorzeitig pensionieren.
Interesse am Journalismus verloren
Zwar las er in seinen letzten Jahren – körperlich geschwächt durch die komplexen Spätfolgen von Rückenoperationen – immer noch gern die Zeitung, aber er schrieb öffentlich keine Zeile mehr: «Ich habe das Interesse am Journalismus plötzlich verloren», sagte er im persönlichen Gespräch über die Transformation der Nachrichten-Branche.
Desillusioniert und verärgert konstatierte Fred Müller, wie immer mehr Medienschaffende in private oder staatlichen Medienabteilungen überlaufen und dort die freien Informationsflüsse filtern.
«Adio» war sein letztes Wort.
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