Vom Wasser in den Boden – die Ära der Deponien

Der belastete Rhein sorgt in der Region für ein Umdenken. Ab 1946 entstehen allein im Dreiland 17 Gruben, in denen die Chemiebetriebe ihre Abfälle entsorgen.

Reparatur- und Maschinenhalle Züblin in Muttenz
Die Deponie Feldreben soll im kommenden Jahr saniert werden. Das Bild aus dem Jahr 1965 zeigt die Reparatur- und Maschinenhalle Züblin in Muttenz. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Comet Photo AG)

Der Wechsel vom Wasser zum Boden als aufnehmendes Gefäss von Giftmüll entschärft den gesellschaftlichen Konflikt, wie stark der Rhein belastet werden darf. Er führt aber zu einem neuen Konflikt – jenen um die Verunreinigung von Grund- und Trinkwasser.

Man sollte nicht vergessen, woher die Konflikte rühren, die etwa im Rosental oder Klybeck in Basel die Gemüter erhitzen. Standorte der Produktion sind potenzielle Altlasten. Alle Stoffe, die in die Deponien wanderten, befanden sich zuerst auf diesen Geländen. Hier wurden sie hergestellt oder verarbeitet. Hier könnten sie durch Havarien, undichte Leitungen oder unsorgfältiges Arbeiten in den Boden gelangt sein.

Ab 1946 entstehen im Dreiland um Basel insgesamt 17 Deponien. Zählt man Schweizerhalle mit, sind es sogar 18. Zuerst verfrachtet der Basler Transportunternehmer Wilhelm Lipps festen Chemieabfall aus dem Ciba-Werk Klybeck in seine ausgebeutete Kiesgrube, die Lipps-Grube in Weil am Rhein. Beinahe gleichzeitig beginnt die J.R. Geigy AG, ihren festen Chemiemüll nach Grenzach zu bringen. Das Riehener Transportunternehmen A. Bechtle leert ihn in die Hirschackergrube, ebenfalls eine ausgebeutete Kiesgrube. Die ebenso in Grenzach gelegene Kesslergrube wird auch verfüllt.

Im Umfeld der Lipps-Grube kommt es schon bald zu Problemen. Die Deponie belastet das Grundwasser. Im angrenzenden Rheindrainage-Kanal verenden die Forellen. Mitte 1951 verbietet das Landratsamt Lörrach, dass weitere Abfälle der chemischen Industrie in die Lipps-Grube gekippt werden. Ab 1952 wird die Feldrebengrube in Muttenz aktuell. (Diese wird nun in den kommenden Jahren saniert.)

Eine Subkommission kommt zum Einsatz

Die Baselbieter Regierung beauftragt 1954 den Geologen Hansjörg Schmassmann und dessen Vater Walter, Vorsteher des kantonalen Wasserwirtschaftsamts, zu beurteilen, wie gefährlich die Deponie für das Grundwasser ist. Beide kommen zum Schluss: «Eine Gefahr für das zukünftig in der westlichen Hard auszunützende Grundwasservorkommen und – je nach den wechselnden Wasserstands-Verhältnissen – sehr wahrscheinlich eine Gefahr für das bestehende Grundwasserpumpwerk Hardeck der Gemeinde Birsfelden.»

Umschlagareal der ehemaligen Henkel Hygiene AG
Ab 1952 wird die Feldrebengrube in Muttenz aktuell. Das Bild aus dem Jahr 2013 zeigt das Umschlagareal der ehemaligen Henkel Hygiene AG. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Franziska Becker)

Eine Subkommission wird eingesetzt, die – «wenn auch mit schwersten Bedenken» – im Dezember 1954 rät, die Industrie weiterhin ihre Abfälle abladen zu lassen, «da sich keines der hinsichtlich Grundwasserschutz verantwortbaren Projekte unverzüglich realisieren lässt». Verantwortlicher Baselbieter Baudirektor ist zu diesem Zeitpunkt der Sozialdemokrat Heinrich Abegg. In der fünfköpfigen Subkommission für die Deponierung Industrieller Abfälle sitzen neben Hansjörg Schmassmann noch Alfred Rohner von der Chemiefabrik Rohner AG in Pratteln, Karl Schonlau von der Säurefabrik Schweizerhalle, H. Rothweiler von der Tuchweberei Schild AG in Liestal sowie Rudolf Müller, Ingenieur der J. R. Geigy Schweizerhalle AG.

Orange Brühe

Sandoz denkt voraus und sucht bald schon eine Deponie-Möglichkeit im Ausland. Als Ausweichmanöver dient der Parkplatz des heutigen Autobahnzolls in St. Louis. Gravière Nord nennt sich die Deponie, in der bis 1965 auch dioxinhaltige Verbrennungsrückstände verfüllt worden sein sollen. Sandoz beweist mit ihrem Schachzug ein feines Näschen: Ab 1957 darf nämlich offiziell kein Chemiemüll in Baselbieter Böden geschüttet werden. Ein spektakuläres, auch übelriechendes wie unerwartetes Ereignis ist dafür ausschlaggebend.

August 1957. Die Speiseölfirma Florin AG bohrt im Muttenzer Rheinschotter nach Brauchwasser für die internen Prozesse. Aus dem Boden quillt eine orange, phenolhaltige Brühe. So darf sich das Grundwasser eigentlich nicht präsentieren. Die Arbeiterzeitung greift den Kanton Baselland deswegen frontal an. Die Regierung habe das Ablagern von Industrieabfällen in der Feldrebengrube verharmlost, schreibt Carl Miville, Basler SP-Grossrat, späterer Ständerat und Sohn des gleichnamigen ehemaligen Basler Regierungsrats (SP/PdA).

Dabei hatten doch die beiden Basel seit Beginn der 1950er-Jahre Millionen investiert, um in der nahen Hard Trinkwasser zu gewinnen, mit dem heute 230’000 Menschen ihren Durst stillen.

Ciba, Sandoz und Geigy wollen sich zuerst nicht mit dem Ablagerungsstopp abfinden. Es entstünden grosse betriebliche Schwierigkeiten, die zumindest kurzfristig schwerer ins Gewicht fielen als eine nicht nachgewiesene Beeinträchtigung des Grundwassers, argumentiert Geigy im Namen aller betroffenen Firmen. Doch ab jetzt wird ins Elsass transportiert. Nach Hagenthal-le-Bas. Die Deponie Le Letten wird gefüttert, während der Baselbieter freisinnige Finanzdirektor Ernst Börlin der Gesamtregierung vorwirft, die Chemiemüll-Ablagerung im Kanton Baselland überhaupt erlaubt zu haben.

Der Weg ins Elsass

Die chemische Industrie sucht fortan nach Chemiemülldeponien im grenznahen Ausland, lässt ihren festen Abfall in der Basler Kehrichtanlage verbrennen oder versenkt diesen in der Nordsee. Es ist die Transportfirma Ernst Pfirter AG aus Pratteln, die Le Letten für Ciba entdeckt und künftig auch bedient. In einem Gebiet nahe Schönenbuch, das zu diesem Zweck von der Subkommission für die Deponierung industrieller Abfälle empfohlen wurde. Die lange nicht eingeweihte Präfektur in Colmar setzt den Ablagerungen 1960 ein Ende.

Erfreut reagiert Neuwillers Gemeindepräsident Adolphe Mangold auf die Nachfrage des Muttenzer Transportunternehmers Franz Stebler, ob er im Roemisloch nahe der Grenze zu Allschwil abschütten dürfe. Der Deal: 4 Franken pro Ladung, die ins Roemisloch geht, und mit 80 bis 100 Lastwagen-Ladungen Auffüllmaterial sollen die Feldwege der klammen Gemeinde wieder flott gemacht werden. Die Deponie sorgt noch heute für Streit zwischen Allschwil und der Industrie. Während Letztere der Auffassung ist, die Grube sei sicher, fordert die Gemeinde, dass weiter saniert wird. Sie befürchtet, dass weiterhin krebserregendes Benzidin auslaufen und letztlich den Allschwiler Mülibach erreichen könnte.

Daniel Aenishänslin erzählt in einer dreiteiligen Serie die Geschichte der Altlasten der Basler Chemie.

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Geschichte der Altlasten, Teil 2

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