Ein Umdenken findet statt – es wird saniert
Die Chemieindustrie übernimmt Verantwortung. Die Altlasten sind aber längst nicht alle beseitigt und werden noch lange ein Thema sein.
Zu Beginn der 1960er-Jahre hat der Geologe Hansjörg Schmassmann die vermeintlich zündende Idee. Er empfiehlt der Basler chemischen Industrie eine ausgebeutete Tongrube im Jura. 1961 schreibt er: «Neben den Gefahren gibt es tatsächlich auch Möglichkeiten einer ungefährlichen Ablagerung fester Abfälle aus Industriebetrieben.» Zum Beispiel in Bonfol. Zwischen 1961 und 1976 wandern rund 114'000 Tonnen Abfälle aus der Chemie in die Grube: Farbstoffe, chlorierte Lösungsmittel, Schlämme aus der Metallverarbeitung und Rückstände aller Art.
Zwar soll die Lehmgrube an der Grenze zu Frankreich gegen das Grundwasser dicht sein, doch staut sie das eindringende Regenwasser. Deshalb pumpt die Betreiberin der Deponie, die J. R. Geigy AG, das Wasser ab, um es in einem nahen Waldstück auszubringen. Das führt dazu, dass 1965 der Rosersbach kunterbunt dahinfliesst und Autor Pierre Kraft in der Zeitung L’ Alsace bemerkt: «Man lernte, dass dieses Wunder schweizerischen Ursprungs ist und dass es ohne Zweifel aus dem berühmten Chemiefriedhof in Bonfol kommt.»
Nun installiert die J. R. Geigy AG ein Drainagesystem. Sie pumpt das mit Chemikalien angereicherte Wasser ab, verfrachtet es per Tanklastwagen zurück nach Basel – und kippt es in den Rhein. Die Deponie wird in der Zwischenzeit für 380 Millionen Franken saniert, der Aushub in Deutschland verbrannt. Die Verursacher bezahlen: BASF (ex Ciba SC), Clariant, Novartis und Sygenta. Die Sanierung ist aber nicht ganz abgeschlossen. Im Untergrund muss noch eine verunreinigte Sandpartie ausgehoben werden. Unter anderem mit dem krebserregenden Benzidin.
Kopfschmerzen und Übelkeit
Die 1980er-Jahre bringen ein kategorisches Umdenken in der Bevölkerung mit sich. Nach den Erfahrungen mit der Aargauer Deponie Kölliken haben Chemiemüll-Deponien keine Chance mehr. Anwohner klagen über Kopfschmerzen und Übelkeit. Dazu führen Schadstoffe wie Aniline und Chlorbenzole. Eine Expertenkommission soll klären, ob die Deponie in Kölliken, in der zwischen 1978 und 1985 angeliefert worden war, eine Gefahr darstellt.
Die Expertenkommission kommt zum Schluss: Sie ist gefährlich. Zudem könne man Deponien nicht einfach sich selbst überlassen. Peter Baccini, ETH-Professor und Präsident der Expertenkommission, sagt 1986 gegenüber DRS Aktuell, man müsse eine Deponie betrachten wie eine chemische Fabrik: «Man muss sie mit den modernsten Kenntnissen in Chemie, Physik und Biologie zu führen lernen.»
Die Industrie weicht zu Beginn der 1980er-Jahre noch einmal aus und wird in der DDR fündig. Das Politbüro im Arbeiter- und Bauernstaat sieht in der «Volkseigener Betrieb Deponie Schönberg» eine Goldgrube. Der Norddeutsche Rundfunk berichtet im Januar 2024 von 250 Millionen D-Mark, welche die DDR dadurch eingenommen habe, indem sie Abfälle durch den eisernen Vorhang hindurch liess. Mit dem Müll auch das Dioxin.
Nicht nur die Grossen sind verantwortlich
Von heute aus betrachtet entsteht schnell der Eindruck, für die Altlasten seien einzig die Sandoz AG, die Geigy AG, die Hoffmann-La Roche AG und die Ciba AG verantwortlich. Das stimmt nicht. Deponiert haben auch die Rohner AG, die Ugine-Kuhlmann, die Rhône-Poulenc-Fabrik sowie die Färbereien Appretur Schusterinsel GmbH, die Schetty AG oder die Salubra Werke, die Tapeten herstellten. Auch Gewerbebetriebe aus Basel-Stadt, dem Baselbiet, Elsass und aus Südbaden.
Dementsprechend äussert sich 1990 Max Heussers, damals Entsorgungs-Verantwortlicher bei der Sandoz AG: «Ich wehre mich dagegen, dass alles und jedes, was Chemikalien sind, der chemischen Industrie angelastet wird.»
Allerdings bekennen sich die Grossen der Branche dann doch zu ihrer Geschichte. So wird die Sondermülldeponie Kölliken für rund 720 Millionen Franken saniert. Der Bund beteiligt sich mit 185 Millionen Franken. Für die noch anstehende Feldreben-Sanierung in Muttenz sind 280 Millionen Franken veranschlagt. Die Roche lässt ihren Teil der Kesslergrube für 240 Millionen ausräumen. Die BASF als Nachfolgerin der Ciba Spezialitäten Chemie sucht aktuell nach einem Weg für den Umgang mit ihrem Teil der Kesslergrube.
In der Deponie Teuftal liegt weiterhin der hochgiftige Chemiemüll aus Basel, den die Industrie zwischen 1975 und 1996 dort abgelagert hat. Zwölf Kilometer vor Bern. Altlastenexperte Marcos Buser sprach einst vom «übelsten Gemisch an Stoffen», das man sich vorstellen könne.
Altlasten werden noch lange Thema sein. Das bringt Anton Aeby, Umweltdirektor der Lonza, in einem Bericht von «Schweiz aktuell» klar zum Ausdruck. Im Juni 2024 kommentiert er die Sanierung der mit Benzidin verseuchten Lonza-Deponie Gamsenried bei Visp so: «Wir reden von einem Generationenprojekt.»
Daniel Aenishänslin erzählt in einer dreiteiligen Serie die Geschichte der Altlasten der Basler Chemie.
Bisher erschienen:
- Teil 1: Der Rhein – Dienstleister der Chemieindustrie
- Teil 2: Vom Wasser in den Boden – die Ära der Deponien
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