Jetzt jubeln die Rheintunnel-Befürworter
ETH-Professor Ulrich Weidmann empfiehlt, das Strassenprojekt wieder aufzunehmen. Dem Bahnknoten Basel mit dem Basler Herzstück räumt er hingegen keine Priorität ein. © Grafik: Astra
Als die Schweizer und Basler Stimmbevölkerung im November vergangenen Jahres Nein sagten zum Ausbau der Nationalstrassen und damit auch zum Rheintunnel, war der Jubel bei Rot-Grün im Stadtkanton gross – Baselland stimmte der Vorlage zu. Die Befürworter des Rheintunnels wollten den Entscheid aber nicht akzeptieren und machten das Strassenprojekt schon kurz nach dem Urnengang wieder zum Thema. Im Frühling kündigte etwa die Handelskammer beider Basel (HKBB) eine Standesinitiative an, mit dem Ziel, «Blockaden zu lösen».
Nach der Abstimmung beauftragte Bundesrat Albert Rösti den ETH-Professor Ulrich Weidmann, alle geplanten Ausbauten zu überprüfen und neu zu priorisieren. Am Donnerstag wurde die Studie «Verkehr ‘45» nun veröffentlicht. Diese rückt den Rheintunnel definitiv wieder ins Zentrum.
Verkehrsforscher Weidmann kommt nämlich zum Schluss, dass der Rheintunnel, obwohl vom Volk abgelehnt, ein Projekt sei, «das nicht nur die Kapazitätsengpässe an dieser neuralgischen Stelle behebt, sondern vor allem auch den Fernverkehr klar vom regionalen und städtischen Verkehr trennt». Dies reduziere für die Stadt Basel die Belastung durch den Transit- und Ausweichverkehr erheblich und verschaffe verkehrliche sowie städtebauliche Möglichkeiten, «die sonst nicht zu erlangen sind».
Der Ausbau Hagnau–Augst hat laut Bericht als «integrierender Bestandteil des Rheintunnels» ebenfalls hohe Priorität. Aus finanziellen Gründen muss dieser aber auf die Zeit nach 2045 verschoben werden. Bei einer Umsetzung des Rheintunnels wäre auch der Zubringer Bachgraben–Allschwil zu priorisieren.
«Erhebliche» Risiken
Für das Basler Herzstück, die unterirdische S-Bahn-Verbindung zwischen Bahnhof SBB und Badischer Bahnhof, haben die Gutachter hingegen schlechte Nachrichten. Der Bericht empfiehlt, das Projekt auf die Periode nach 2045 zu «depriorisieren» und in der Periode 2025 bis 2045 «auf Vorinvestitionen in einen Tiefbahnhof zu verzichten».
Das Herzstück sei ein konzeptionell interessanter Ansatz, der sich in der Konkretisierung indessen als aufwendig erweise, heisst es im Bericht. Insbesondere erschwere die komplexe Struktur der Zulaufstrecken, das Herzstück in das Netz einzubinden. Die zeitlichen und finanziellen Risiken seien «erheblich».
Stattdessen gibt Professor Weidmann kleineren, sofort wirksamen Massnahmen den Vorrang. Dazu zählt der Ausbau des Westkopfs des Bahnhofs SBB, die neue Margarethenbrücke und die geplante Verkehrsdrehscheibe SBB West, die bessere Umsteigebeziehungen schaffen und den Centralbahnplatz entlasten. Auch das Tramnetz soll rasch erweitert werden. Die «aufwendigen Projekte» Wendegleise Schützenmatte und Haltestelle Solitude sollen indes nicht weiterverfolgt werden.
Keller und Reber enttäuscht
Die Basler Bau- und Verkehrsdirektorin Esther Keller und ihr Baselbieter Amtskollege Isaac Reber nehmen die Zurückstufung des Herzstücks mit Bedauern zur Kenntnis. Die Region werde nun erst recht mit vereinter Kraft dafür kämpfen, dass der Tiefbahnhof Basel SBB als erste Etappe des Herzstücks Eingang in die nächste Botschaft zum Bahnausbau finde.
Keller begrüsst, dass die Studie «Verkehr ‘45» das Verkehrssystem ganzheitlich betrachte. Umso unverständlicher ist es für sie deshalb, dass der Bericht dem Bahnausbau keine Priorität einräume, jedoch die Wiederaufnahme des Projekts Rheintunnel empfehle. «Angesichts des zunehmenden Verkehrs und des ambitionierten Netto-Null-Ziels in Basel-Stadt kann und darf es nicht sein, dass einseitig die Strasse ausgebaut wird», lässt sich die grünliberale Regierungsrätin in einer Mitteilung zitieren. Reber äussert sich im Communiqué der Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion nicht zum Rheintunnel.
Die Kantonsregierungen beider Basel hatten sich im Vorfeld der Abstimmung für den Rheintunnel ausgesprochen. Nach dem Volks-Nein wehrte sich Keller aber dagegen, die Debatte erneut zu lancieren. Dies sei nicht Aufgabe der Regierung, sagte sie wiederholt. Der Grüne Isaac Reber hingegen unterstützt den Rheintunnel weiterhin, obwohl seine Partei dagegen ist.
Tatsächlich reagieren die Grünen in beiden Basel empört auf die Nachrichten aus Bern. Der Bundesrat müsse den Volksentscheid zum Rheintunnel trotz prioritärer Einstufung im Weidmann-Bericht respektieren und seine Verkehrspolitik danach ausrichten, schreiben sie in einer gemeinsamen Mitteilung. Man nehme das Verkehrswachstum auf der Osttangente weiterhin als gegeben hin, statt zu erkennen, dass neue Strassen mehr Verkehr erzeugen.
TCS triumphiert
Beim Herzstück sehen die Grünen die Region Basel in der Pflicht, das Projekt so aufzugleisen, «dass es nicht auf die lange Bank geschoben wird». Die sorgfältige Planung von ÖV, Fuss- und Veloverkehr müsse in der Region Basel gegenüber dem Strassenbau Priorität erhalten.
Die Sektion beider Basel des Touring Club Schweiz darf hingegen jubeln. Der Verein hat in den vergangenen Wochen den täglichen Dauerstau zum Thema gemacht und die Petition «Schluss mit dem Stau!» initiiert. «Der Rheintunnel ist die Lösung! Dies wurde nun auch wissenschaftlich bestätigt», sagt der Präsident des TCS beider Basel, Christophe Haller.
Die Regierungsräte Esther Keller und Isaac Reber wollen die Ergebnisse der Studie gemeinsam mit der HKBB am kommenden Montag vor den Medien analysieren und einordnen.
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